Ein Blick in die Geschichte (184): Auch Bremer unter den Anti-AKW-Demonstranten am 28. Februar 1981

Aus ganz Deutschland reisten am 28. Februar 1981 rund 100.000 AKW-Gegner in die Wilstermarsch, um gegen den Weiterbau des Kernkraftwerks Brokdorf zu demonstrieren. Auch aus Bremen machten sich Demonstranten per Auto oder Bus auf den Weg an die Unterelbe. In einem dieser Busse saß der damals 27-jährige Edgar Einemann, heute Hochschulprofessor in Bremerhaven. Politisch aktiv war Einemann schon seit den Straßenbahnunruhen im Januar 1968, für ihn wie auch für viele andere so etwas wie ein politisches Initiationserlebnis. Bereits damals schloss er sich den Jungsozialisten (Jusos) an, der Nachwuchsorganisation der SPD.

Die Beteiligung an der Großdemo in Brokdorf dürfte für Einemann außer Frage gestanden haben. Schon bei der „Schlacht um Brokdorf“ im November 1976 war er dabei gewesen. Rund 30.000 Demonstranten hatten damals gegen den eben erst begonnenen Bau demonstriert, dabei hatte es schwere Ausschreitungen gegeben. Als Reaktion auf den Versuch, die Baustelle zu stürmen, ging die Polizei mit aller Härte gegen die Demonstranten vor. „Aus Hubschraubern wurden Tränengas-Granaten in die Menge geschossen“, erinnert sich Einemann. „Auf den Feldern sind wir wie die Hasen nach Hause gesprungen.“

In der Protestgeschichte von Brokdorf wird diese Demo als „Brokdorf II“ gelistet. „Brokdorf I“ war der erste Protest am 30. Oktober 1976 mit rund 5000 Teilnehmern, als „Brokdorf III“ gilt die Massendemo im Februar 1977 mit 50.000 Menschen.

Stau vor Brokdorf: Pinkelpause für die anreisenden Demonstranten.
Foto: Edgar Einemann

Erste Planungen 1972

Erste Planungen für den Bau des Atommeilers hatte es 1972 gegeben. Als Schleswig-Holstein im Oktober 1976 den sofortigen Baubeginn anordnete, war der gesellschaftliche Konsens schon längst dahin. Besonders die radikalen Linken wollten ein Zeichen setzen. „An der Uni gab es große Diskussionen, wie damit umzugehen sei“, sagt Einemann. Der Kommunistische Bund Westdeutschlands (KBW) habe gefordert, die „Festung Brokdorf zu schleifen“, stieß damit allerdings auch auf Widerspruch. Dennoch: Innerhalb kürzester Zeit wurde Brokdorf zum Symbol – für das gesellschaftliche Protestpotenzial wie auch für die Gewaltbereitschaft militanter Atomgegner und das rigorose Vorgehen von Seiten der Staatsmacht.

Nach „Brokdorf III“ im Februar 1977 kehrte erst einmal Ruhe ein, weil das Oberverwaltungsgericht Lüneburg im Oktober 1977 einen unbefristeten Baustopp verhängte – solange, bis die Entsorgung des Atommülls geklärt sei. Vermeintliche Fortschritte in der Entsorgungsfrage veranlassten das Gericht allerdings im Januar 1981, den Baustopp aufzuheben. Gegen den Weiterbau rief der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) zu einer Demonstration am 28. Februar 1981 auf.

Weil sich im Vorfeld Hinweise auf erneute Gewaltakte verdichteten, wurde die Demo kurzerhand verboten. Allerdings zu spät, um die bereits anreisenden AKW-Gegner noch aufzuhalten. Daran konnten sogar blockierte Autobahnen nichts mehr ändern. Die Polizei entschloss sich zu einer pragmatischen Taktik, trotz Straßensperren ließ sie friedliche Demonstranten passieren. Heute schätzt man, dass rund 100.000 Demonstranten dem Protestaufruf folgten, „Brokdorf IV“ war damit die bis dahin größte Anti-AKW-Demo der deutschen Geschichte.

Demonstranten mit Pali-Tuch vor Brokdorf.
Foto: Edgar Einemann

Situation eskalierte am Nachmittag

Freilich sollte es abermals zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen. Die Situation eskalierte am späten Nachmittag, als sich viele Demonstranten schon wieder auf den Heimweg befanden. Als Auslöser gelten die Aktionen militanter AKW-Gegner am Bauzaun, es flogen Stahlkugeln, Steine und Molotowcocktails. Angesichts der Erfahrungen im Spätherbst 1976 wollte es die Polizei offenbar nicht auf einen abermaligen Angriff ankommen lassen. Stattdessen verließen die Polizisten die Baustelle und rollten das Feld unerbittlich auf.

Dabei kam es zu regelrechten Jagdszenen, einzelne Demonstranten gerieten ins Visier der Polizei. „Das war überhaupt nicht mehr nachvollziehbar“, sagt Einemann. „Keiner konnte verstehen, wozu das gut war – außer als Bestrafungsaktion.“ Ähnlich äußert sich der damalige Bürgerschaftsabgeordnete Peter Willers (Bremer Grüne Liste), der als Sprecher der „Bürgeraktion Küste“ die Bremer Beteiligung organisiert hatte. „Wie die Polizei da vorgegangen ist, das war schon sehr heftig“, sagt der heute 82-Jährige – er selbst habe „einen auf den Dez gekriegt“.

Doch nicht nur Polizisten gingen die Nerven durch, auch militante Atomgegner schlugen gnadenlos zu. Fast ikonenhaften Charakter erlangte ein Schwarz-Weiß-Foto, das in der aktuellen Sonderausstellung „Protest + Neuanfang. Bremen nach 68“ im Focke-Museum zu sehen ist. Es zeigt einen Polizisten, der sich bei der Verfolgung eines Demonstranten zu weit vorgewagt hatte und in einen Wassergraben gerutscht war. Zwei Männer prügeln mit Schaufel und Knüppel auf ihn ein, während ein dritter ihn an der Flucht hindert. Einer der beiden Täter war ein damals 36-jähriger Betonfacharbeiter aus Bremen, der dafür eine mehrjährige Haftstrafe aufgebrummt bekam.

Am Ende wurden 128 verletzte Polizisten gezählt. Der BBU sprach von 45 Verletzten auf Seite der Demonstranten, doch tatsächlich dürfte ihre Zahl wesentlich höher gewesen sein.

von Frank Hethey

Die Atomlobby als „Luzifers Erfüllungsgehilfe“: Protest bei Brokdorf.
Foto: Edgar Einemann

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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