Carl Friedrich Roewer brauchte zwei Anläufe, um Direktor des heutigen Überseemuseums zu werden
Erst war es nur eine Beurlaubung, am 25. Juni 1945 wurde Museumsdirektor Carl Friedrich Roewer dann endgültig vor die Tür gesetzt. Ein dürrer Vierzeiler verkündete ihm, er sei „nach den einschlägigen Bestimmungen“ der US-Militärregierung mit sofortiger Wirkung aus seinem Amt entlassen. Zwölf Jahre hatte Roewer das heutige Überseemuseum geleitet, damals Deutsches Kolonial- und Übersee-Museum (mehr dazu hier). Der NS-Parteigenosse war im Oktober 1933 zum Nachfolger von Gründungsdirektor Hugo Schauinsland ernannt worden. Und doch fiel Roewer offenbar aus allen Wolken – er habe doch noch nicht einmal seinen Fragebogen zur Entnazifizierung eingereicht, klagte er.
Sich über Roewer ein Bild zu machen, ist gar nicht so einfach. Bis heute liegt keine Biografie über ihn vor, auch kein Artikel in der „Bremischen Biographie 1912-1962“ – Roewer starb im Juni 1963, ein halbes Jahr nach Redaktionsschluss. Den umfangreichsten Einblick gewährt ein Nachruf von Herbert Abel, von 1971 bis 1976 Leiter des Überseemuseums. Freilich ist dabei zu bedenken, dass Abel seit 1935 fast ununterbrochen im Museum gearbeitet hatte und auch später mit Roewer verkehrte. Seine Rolle in der NS-Zeit beleuchtet die Historikerin Bettina von Briskorn in einem Werk zur Sammlungsgeschichte des Museums. Wer mehr wissen will, ist auf die einschlägigen Akten im Staatsarchiv angewiesen.
Gegen seine Entlassung hat sich Roewer jahrelang gewehrt, ihm drohte die Mittellosigkeit. Auch die Bestätigung durch die Militärregierung empfand er als ungerecht. „Ich erhebe daher begründeten Einspruch gegen diese Entscheidung“, teilte er dem Senator für Entnazifizierung am 8. September 1947 mit. Neuen Mut schöpfte Roewer, nachdem die Spruchkammer ihn als „Mitläufer“ eingestuft hatte. Im April 1948 bat er um Wiedereinsetzung in sein Amt, obgleich er das 65. Lebensjahr schon überschritten hatte. „Ich bin völlig gesund und noch durchaus voll arbeitsfähig.“ Sein Vorgänger Schauinsland sei schließlich auch bis ins hohe Alter tätig gewesen.
Ein renommierter Spinnenforscher
An Selbstbewusstsein mangelte es Roewer von jeher nicht. Parallel zu seiner Lehrertätigkeit an der Oberrealschule an der Dechanatstraße hatte er sich als Zoologe einen Namen gemacht, sein Spezialgebiet war die Arachnologie, die Spinnenforschung. Mit der Verleihung des Professorentitels würdigte der Senat 1924 seine wissenschaftlichen Forschungen in der Freizeit. Sein globaler Spinnen-Katalog werde „für die nächsten 200 Jahre“ maßgebend sein, erklärte Roewer im Januar 1946 trotzig. Dieses Werk sichere ihm „in aller Zukunft einen guten wissenschaftlichen Namen“, der durch keinerlei politischen Geschehnisse der Vergangenheit angetastet werden könne.
Seinen Parteieintritt 1931 schrieb er seiner „politischen Unerfahrenheit und Unwissenheit“ zu, er habe an die „Makellosigkeit der NSDAP“ geglaubt. Niemals habe er die Absicht gehabt, sich in der Partei zu betätigen. Er sei „nur ein stilles, inaktives, beitragszahlendes Mitglied“ gewesen.
Dass er bereits früh auf den Posten des Museumsdirektors geschielt hatte, verhehlte Roewer nicht; er sah in der Leitungsposition sein „gutes und unbestreitbares Recht“. Beim ersten Anlauf 1927 war er noch gescheitert. Sehr zu seinem Leidwesen verlängerte der Senat die Dienstzeit des damals bereits 70-jährigen Direktors Schauinsland. Für den ehrgeizigen, mehr als 20 Jahre jüngeren Roewer ein empfindlicher Schlag. Der attraktive Posten wurde in seinen Augen von einem starrsinnigen Greis blockiert, der längst aufs Altenteil gehört hätte. Durch „unbegreifliche Sonderabmachungen“ sei Schauinsland im Amt geblieben, wetterte Roewer im März 1933 in einer Denkschrift über die Zustände im Museum und deren Besserung.
Roewer bestritt energisch, auf dem Ticket der Partei ins Amt gespült worden zu sein. Politische Einflüsse hätten bei seiner Ernennung keine Rolle gespielt. Anders urteilt der Regionalhistoriker Herbert Schwarzwälder. Roewer sei „nicht als Fachmann, sondern als Parteigenosse“ zu seinem Posten gekommen. Ähnlich liest sich, was die Verantwortlichen im Entnazifizierungsverfahren über ihn dachten. Roewer sei „ein großer Ehrgeizling“, in seinen Parteifreunden habe er „willige Helfer“ für die Ablösung seines Vorgängers gefunden. Fazit: „Er war ein Wegbereiter des Nazismus und obendrein ein großer Nutznießer.“
Tatsächlich bediente sich Roewer ohne Zögern seiner Parteimitgliedschaft, als er im März 1933 zum zweiten Mal seinen Hut in den Ring warf. In seiner Denkschrift nannte er sich einen Mann „langjährig gefestigter nationalsozialistischer Überzeugung“. Von seinem früheren Kollegen, NS-Bildungssenator Richard von Hoff, erhoffte er sich „nationalsozialistischen Nachdruck“ bei seiner Bewerbung. Der Nachdruck stellte sich denn auch prompt ein: Die rechte Hand des Senators, Oberregierungsrat Adolf Seidler, hielt Roewer trotz fehlender Praxiserfahrung für den geeigneten Mann, das Museum im Geist der nationalen Erneuerung umzugestalten.
So ganz handzahm verhielt sich Roewer dann allerdings nicht. Bei der Umbenennung seines Hauses in Kolonial- und Übersee-Museum fühlte er sich übergangen, der Zusatz „Übersee“ ging auf seine Initiative zurück. Später identifizierte er sich voll und ganz mit dem Ziel, das Museum als Deutsches Kolonial-Museum zu etablieren. Immer wieder forderte er mehr Mittel, damit das Museum seinem Namen auch wirklich gerecht werden könne. Dabei legte er sich auch mit Bildungssenator Richard von Hoff an.
Vom Antisemitismus hat sich Roewer nach dem Krieg nachdrücklich distanziert. Die „üblen Judenverfolgungen“ seien zum Zeitpunkt seines Parteieintritts nicht absehbar gewesen, von den „Schauerlichkeiten in den Konzentrationslagern“ habe er erst nach Kriegsende erfahren. Als Beleg führte Roewer den Fall seines jüdischen Mitarbeiters Ludwig Cohn (mehr dazu hier) an – um ihn zu halten, habe er bis zu dessen Tod im Sommer 1935 „heftige persönliche Kämpfe“ mit NS-Kreisleiter Bernhard Blanke ausgefochten. Eine reine Schutzbehauptung ist das nicht. Roewers Unterschrift findet sich auf Cohns Kondolenzliste, die Museumsmitarbeiter sollten dem „Arbeitskameraden“ die letzte Ehre erweisen.
Geholfen haben seine Einlassungen nicht, Roewer war und blieb auf dem Abstellgleis. An seiner statt leitete nach dem Krieg der deutlich jüngere Abel kommissarisch das Museum, wenngleich auch er zwischenzeitlich aus politischen Gründen suspendiert war. Im Nachruf bezeichnete Abel seinen früheren Vorgesetzten als patriarchalisch, seine Amtsführung sei „vielleicht ein wenig autoritär“ gewesen. Gleichwohl war er sicher, in der Geschichte des Überseemuseums werde Roewers Name „für alle Zeiten einen guten Klang haben“.
Carl Friedrich Roewer (1881-1963)
Als Sohn eines Militärbeamten kam Carl Friedrich Roewer am 12. Oktober 1881 im mecklenburgischen Neustrelitz zur Welt. In Jena studierte er Naturwissenschaften und wurde 1906 promoviert, sein Doktorvater war der Zoologe und Philosoph Ernst Haeckel. Ab 1910 unterrichte Roewer an der Oberrealschule Biologie und Chemie. Im gleichen Jahr heiratete er Johanne Rönner (1887-1928), aus der Ehe gingen vier Kinder hervor. In zweiter Ehe war er mit Hedwig Ferker (1892-1964) verheiratet, er wohnte in der Bandelstraße in Horn. Der Senat verlieh ihm 1924 den Professorentitel für seine Forschungen. Der NSDAP trat er 1931 bei, 1933 wurde er zum Direktor des heutigen Überseemuseums ernannt. Im Juni 1945 entlassen, erhielt er erst später sein Ruhegehalt. Im Entnazifizierungsverfahren wurde ihm vorgeworfen, er sei ein Verwandter des Gauleiters. Der wurde allerdings anders geschrieben, er hieß Carl Röver – vermutlich ist also nichts dran an dieser Behauptung, zumal der Gauleiter nicht aus Mecklenburg, sondern Lemwerder stammte. Roewer starb am 17. Juni 1963 in Bremen.