Ein Blick in die Geschichte (179): Historische Nahversorgung in der Neustadt
In einem Stadtviertel sollte auch die Grundversorgung der Menschen mit Lebensmitteln gesichert sein. Das hat sich in früheren Zeiten „von selbst“ ergeben. In den Wohnstraßen gab es eine Vielzahl kleiner und kleinerer Geschäfte, in denen Obst und Gemüse, Milch und Kolonialwaren angeboten wurden; aus Bäckereien und Schlachtereien kamen handwerklich hergestellte Erzeugnisse. Damit konnte die Bevölkerung vor Ort ausreichend versorgt werden. Und zwar ohne lange Wege machen zu müssen. Das war eine dezentrale Lebensmittel-Versorgung.
Neue Stadtviertel entstehen
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entfernten sich die Neubaugebiete immer weiter vom alten Stadtkern. In Bremen gab es Unternehmer, die ganze Straßen mit Reihenhäusern, Typ Bremer Haus, errichteten.
In einigen Baugebieten wurde es üblich, an Häusern von Straßenkreuzungen vier Eckgeschäfte einzuplanen. Im Buntentor in der Neustadt gab es an der Ecke Gneisenaustraße/Hardenbergstraße im Jahre 1908 diese Eckgeschäfte:
- Gneisenaustraße 37: Weißbäckerei, Konditorei und Milchverkauf
Inhaber: Geelt Camminga
- Gneisenaustraße 38: Zigarrenhandlung
Inhaber: Heinrich Wilhelm Haarstrich
- Gneisenaustraße 40: Kolonialwarenhandlung
Inhaber: Wilhelm Heinrich Diederich Broer
- Gneisenaustraße 42: Schlachterei
Inhaber: Heinrich Julius Otto Grabenhorst
Das Video zeigt den Zustand der Gebäudeecken im Jahre 2018.
Die früher aus einer Kolonie eingeführten Lebens- und Genussmittel wurden Kolonialwaren genannt. Zu nennen wären Zucker, Kaffee, Tabak, Reis, Kakao, Gewürze und Tee. Der Begriff Kolonialwaren war noch bis in die 1970er Jahre gebräuchlich.
Daneben betrieben meist Ehefrauen Einzelhandelsgeschäfte in Räumen ihres Wohnhauses. Für alle Tätigkeiten wurden auch die nahen Verwandten und die Kinder eingespannt. Das wird das Familienleben sehr belastet haben. Daneben gab es das finanzielle Risiko eines Einzelhändlers.
Gellertstraße 60
Den Neubau an der Gellertstraße 60 hatte Carl Friedrich Franz Nietsch im Jahre 1906 erworben. Er war Arbeiter. Um die Hypothek abzubezahlen, hatte das Ehepaar vereinbart, dass seine Ehefrau im Souterrain des Hauses eine Obst- und Gemüsehandlung aufmacht und außerdem Kolonialwaren verkauft. Dafür wurde gleich beim Neubau ein separater Eingang angelegt und der Verkaufsraum bekam einen Terrazzoboden. Damit konnte die Ehefrau etwas hinzuverdienen. Doch bereits im Jahre 1910 hat Frau Nietsch, ihr Vorname wurde im Bremer Adressbuch nicht angegeben, das Verkaufsgeschäft erst an eine Ehefrau Ehlers und einige Jahre später an eine Ehefrau Pophusen verpachtet. 1921 endet die Geschichte dieses Verkaufsgeschäftes.
von Peter Strotmann