Der Aussichtsturm im Bürgerpark (1889 bis 1962)
Ganz im verspielten Stil der Zeit präsentierte sich einst der orientalisch anmutende Aussichtsturm im Bürgerpark. Mit seiner zinnenbewehrten Aussichtsplattform in 26 Metern Höhe war das 1889 errichtete Bauwerk über viele Jahre ein beliebter Anlaufpunkt. Oben auf der Galerie unterrichteten Tafeln über die Kirchtürme und Örtlichkeiten der Umgebung, steinerne Pfeile zeigten zu den Hauptstädten der Erde.
Bereits in den Anfangsjahren des Bürgerparks hatte bis 1883 ein hölzernes, nur sieben Meter hohes Provisorium im vorderen Parkbereich gestanden. Als die Baumkronen die Sicht verdeckten, fand man für den vehement geforderten Aussichtsturm einen neuen Standort nördlich der Ringstraße unweit des Kuhgrabens, heute schräg gegenüber der Einmündung der Emmastraße an der Parkallee. Freilich musste der Vorsitzende des Bürgerparkvereins, Franz Schütte (1836 bis 1911), mit einer kräftigen Finanzspritze nachhelfen. Das Ziel: die Fertigstellung des Bauwerks pünktlich zur Eröffnung der Nordwestdeutschen Gewerbe- und Industrieausstellung im Mai 1890. Das gelang auch, nach Plänen des renommierten Architekten Heinrich Müller (1819 bis 1890) wurde das Bauwerk in wenig mehr als einem halben Jahr hochgezogen und im Dezember 1889 eröffnet.
Romantische Gefühle sollte der ausgestaltete Abhang zum See vermitteln, die „Regenschlucht“. Für den Ruderbootverkehr gab es am Aussichtsturm einen Anleger. Keine wirkliche Erfolgsgeschichte schrieb das Restaurant im Untergeschoss. Es wurden nur einfache Erfrischungen gereicht, am dürftigen Zuspruch konnte auch die 1895 hinzugekommene Veranda nichts ändern. 1913 wurde der Gastronomiebetrieb wieder eingestellt und die Verkleidung entfernt.
Im Zweiten Weltkrieg richtete die Wehrmacht im Untergeschoss einen Luftschutzkeller ein, der Turm diente als Beobachtungs- und Geschützstand der Flugabwehr. Beim Rückzug fügten deutsche Soldaten dem Turm im April 1945 schwere Beschädigungen zu. Davon hat sich das Bauwerk nie wieder erholt, es verfiel zusehends und wurde im März 1962 gesprengt. Auf dem jetzt freien Erdhügel legte der Bürgerparkverein 1970 einen Spielplatz an. Planspiele zur Errichtung eines neuen Aussichtsturms scheiterten. Zum Gedenken an seine Frau stiftete der Gründer des Schnoor-Archivs, Wolfgang Loose (1918 bis 2014), 2006 am früheren Standort des Turms eine Sitzgruppe, das Areal trägt heute den Namen Anneliese-Loose-Hartke-Platz.
von Frank Hethey