Vor 50 Jahren: Angst vor Randalen beim Gastspiel der „Rolling Stones“ am 29. März 1967 in der Stadthalle
Der Auftritt der „Rolling Stones“ in Bremen riss niemanden vom Hocker. Sollte er auch nicht, darüber wachte mit Argusaugen eine Ordnertruppe. Schön sitzen bleiben, hieß es vor genau 50 Jahren in der Stadthalle. „Wir durften nicht aufstehen“, sagt einer, der damals live dabei gewesen ist: der heute 67-jährige Harald Hobbelmann aus Schwanewede. Als blutjunger Beat-Fan saß er im weiten Rund der Stadthalle, als die Musiker aus England am 29. März 1967 die Bühne betraten. Das damals grassierende „Beat-Fieber“ hatte auch Hobbelmann erfasst, immer wieder besuchte er die Gastspiele der angesagten Gruppen in der Stadthalle. Da war es fast eine Selbstverständlichkeit, auch zu den „Stones“ zu pilgern. Der „härtesten Band der Welt“, wie man sie damals nannte.
Von langer Hand hatte Stadthallen-Direktor Hans Claussen den Coup eingefädelt. Zum Auftakt ihrer zweiten Deutschland-Tournee hatte er die „Stones“ nach Bremen gelotst, geplant waren zwei etwa halbstündige Auftritte am späten Nachmittag und frühen Abend als Teil eines umfangreichen Rahmenprogramms unter anderem mit den „Easybeats“ und den „Rattles“ um Achim Reichel.
Bremen, die Stadt des legendären „Beat-Clubs“, schien für ein Gastspiel der „Stones“ ein gutes Pflaster zu sein. Immerhin war die Hansestadt weithin bekannt für ihre vitale Musikszene. Nicht nur im „Beat-Club“ gaben sich die Stars die Klinke in die Hand, auch die Stadthalle bot ihnen regelmäßig die ganz große Bühne. Eigentlich konnte da nichts schiefgehen, Claussen rechnete mit einem vollen Haus, mit wenigstens 15.000 Besuchern auch aus entfernteren Winkeln der Republik.
Stadthallen-Chef Claussen drohte mit Konzert-Abbruch
Nur eine Sache bereitete ihm ein wenig Sorge: die Angst vor Randalen. Schon bei der ersten öffentlichen Ankündigung des Star-Auftritts drohte er, bei eventuellen Krawallen würde die Veranstaltung ersatzlos abgebrochen. „Bremer Beatfreunde tragen also selbst die Verantwortung, wenn sie für ihr Eintrittsgeld nicht auf ihre Kosten kommen.“
Völlig aus der Luft gegriffen waren solche Befürchtungen nicht. Nur allzu gut waren noch die Ausschreitungen bei der ersten Deutschland-Tournee der Stones im September 1965 in Erinnerung. Schon bei der Ankunft der Band auf dem Düsseldorfer Flughafen hatten hartgesottene Fans für Tumulte gesorgt, beim Auftritt in Münster gab’s dann verbogene Stahlstühle, zerrissene Hemden und „in Ekstase geratene Mädchen“.
Noch eine Nummer härter ging es in Hamburg zu, wo es am Abend des „Stones“-Konzerts am Dammtor-Bahnhof zu einer regelrechten Straßenschlacht kam. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein, 43 Randalierer wurden festgenommen. Schwere Krawallen gab es auch beim Konzert auf der West-Berliner „Waldbühne“. Dagegen nahmen sich die Schlägereien in München vergleichsweise harmlos aus. Über die Agenturen tickerte die Meldung, „die fünf Schreihälse“ hätten „außer dem gewohnten frenetischen Gebrüll und Gepfeife weiter keine Exzesse der Münchner Jugend“ entfesselt.
Polizeieinsatz bei Beat-Festival im Dezember 1966
Sogar das sonst so beschauliche Bremen hatte kurz vor dem „Stones“-Konzert seine Erfahrungen mit tobenden Musikfans gemacht. Beim großen Beat-Festival im Dezember 1966 wurden die 5500 Besucher laut Weser-Kurier derart vom „Beatfieber“ geschüttelt, dass sie die Bühne der Stadthalle stürmen wollten. Das Ende vom Lied: „Die Polizei mußte den überschäumenden Begeisterungssturm dämpfen.“
Derlei sollte sich natürlich nicht wiederholen. Dafür sollten nicht nur scharfe Sicherheitsvorkehrungen sorgen, Claussen schmeichelte den potenziellen Besuchern auch nach Kräften. „Ich vertraue auf die gute Erziehung der Bremer Jugend“, ließ er im Vorfeld wissen.
Auf Vertrauen allein wollte sich Claussen aber offenbar nicht verlassen. Der Ankunftstermin der „Stones“ wurde geheim gehalten. Es scheint sogar, als seien ganz bewusst falsche Fährten gelegt worden. Denn die Band landete keineswegs wie angekündigt „mit einer normalen Linienmaschine“ in Bremen, sondern rauschte mit „großen amerikanischen Wagen“ über die Autobahn direkt in die Stadthalle. Die Nacht vor ihrem Auftritt in Bremen hatten die „Stones“ dem Weser-Kurier zufolge auf halbem Wege zwischen Hamburg und Lübeck auf Schloss Tremsbüttel verbracht. Eine Luxusherberge, die im Jahr zuvor schon den „Beatles“ bei ihrer ersten und einzigen Deutschland-Tournee als Unterkunft gedient hatte.
Dorthin würden sie auch zurückkehren, versicherte der Weser-Kurier, wobei sich die Zeitung vermutlich auf Claussen stützte. Doch womöglich war das ebenfalls eine Finte, um Massentumulten vorzubeugen. Denn laut Gerd Coordes, Mitautor des Buches „The Rolling Stones over Germany“, übernachteten die „Stones“ im Park Hotel. Das sei ihm vom Hotelpersonal und von Claussen bestätigt worden, zudem habe ein Fan aus Delmenhorst die Band beim Essen getroffen und sich ein Autogramm geben lassen.
Und nicht nur das, Gitarrist Brian Jones soll nach dem Konzert im „Club 99“ gesehen worden sein. Coordes: „Die Stones sind dann am nächsten Tag mit dem Zug nach Köln gefahren, wo das nächste Konzert stattfand.“
Keine Steine in den Weg gelegt
Der damals 17-jährige Hobbelmann besuchte das „Stones“-Gastspiel in der Stadthalle zusammen mit einem Bekannten. Seine Eltern legten ihm dabei keine Steine in den Weg. „Die haben mich laufen lassen“, erinnert sich Hobbelmann, der 1967 mitten in seiner Ausbildung zum Fernmeldehandwerker steckte. Über gehässige Kommentare zum Auftreten der „langmähnigen Musiker“ kann er nur schmunzeln. Auch an ihm selbst gingen die „wilden Sechziger“ nicht ganz spurlos vorüber. Hobbelmann: „Die Haare wurden immer länger, die Gürtel immer breiter.“
Das rigide Regiment der Sicherheitskräfte in der Stadthalle drückte indessen auf die Stimmung. „Sobald jemand aufsprang, kam sofort ein Ordner angerannt“, sagt Hobbelmann. Die Logik dahinter: Wer artig auf seinem Stuhl saß, war weniger anfällig für emotionale Ausbrüche. Nach seiner Erinnerung spielten die „Stones“ zwar nicht nur eine halbe, sondern eine dreiviertel Stunde.
Doch von wahrer Leidenschaft konnte keine Rede sein. „Die haben einfach nur durchgespielt, es gab keine Zugabe. Die sind dann von der Bühne runter und nicht wieder aufgetaucht.“ In seinen Augen ein bloßer Routineauftritt, der „ziemlich enttäuschend“ gewesen. Kaum besser kam bei den Journalisten die Pressekonferenz an, bei der die „Stones“ ihre goldenen Schallplatten präsentierten. Auf Fragen reagierten die Musiker einsilbig und gelangweilt. Mit welcher Strafe er für seine Drogenvergehen rechne, wollte ein Pressevertreter von Mick Jagger wissen. Dessen lakonische Antwort: „Mit der Todesstrafe.“
Nur 8000 statt 15.000 Besucher
Enttäuschend auch der Publikumszuspruch. Statt der erhofften 15.000 ließen sich nur 8000 Besucher blicken. Doch Stadthallen-Chef Claussen gab sich unbeeindruckt. Kaum waren die Stones weg, hatte er schon wieder den nächsten Knüller an der Angel. Diesmal „The Who“, eine weitere Top-Band aus England. Deren Gastspiel am 19. April 1967 war allerdings abermals eine Pleite, nur 2000 Karten wurden verkauft.
Für Claussen war das der letzte Anstoß, die Reißlinie zu ziehen. Künftig werde es keine „Beat“-Konzerte in der Stadthalle mehr geben, kündigte er nach der erneuten Pleite an. Damit begann der Abgesang auf den „Beat“, schon dämmerte die Ära der technisch anspruchsvolleren Rockmusik herauf. Bereits im Mai 1967 hieß es im Weser-Kurier, die „Beat“-Musik habe ihren Zenit überschritten, mit nur vier Griffen auf der Gitarre könne man auf Dauer niemanden beeindrucken. Gerügt wurde die „musikalische Armut“ einer „primitiven Musik“.
Seine Vorliebe für die „Rolling Stones“ hat sich der Konzertbesucher von damals bis heute bewahrt. Auch wenn Harald Hobbelmann den Auftritt in der Stadthalle nicht sonderlich gelungen fand. Doch anders als viele „Beat“-Bands überlebten die „Rolling Stones“ das Ende der „Beat“-Musik. Immer wieder erfanden sie sich neu, und immer wieder fanden sie ihr Publikum. So auch beim zweiten Auftritt in der Stadthalle im Mai 1976. Beim dritten Gastspiel der „Stones“ in Bremen war Hobbelmann dann abermals zugegen: im September 1998, als die Band vor 30.000 Besuchern im Weserstadion auftrat. „Das war ganz anders als in der Stadthalle“, sagt er. Drei Stunden habe das Konzert gedauert, die „Stones“ seien viel mehr auf das Publikum eingegangen. „Die hatten inzwischen erkannt, dass man die Leute bei Laune halten muss.“
von Frank Hethey
Dieser Beitrag ist eine erweiterte Fassung eines Artikels, der am 29. März 2017 im Weser-Kurier erschienen ist.