Zum Weltfrauentag: Margarete Golz und ihre „Schule für Körperbildung und Atemgymnastik“ – ein kurzlebiges Institut auf lebensreformerischer Grundlage
Mit ihrem Konzept des Nacktturnens provozierte die Heilpädagogin Margarete Golz in den 1920er Jahren mancherlei Häme. Bei der Einweihung ihres Schulungsheims Birkenheide im Herbst 1927 witzelte ein Journalist, das sei nun eine nackte Tatsache. Doch davon ließ sie sich nicht beirren, mit ihrer ganzheitlich ausgerichteten „Schule für Körperbildung und Atemgymnastik“ lag die Tochter eines Droschkenkutschers ein paar Jahre lang ganz im Trend der lebensreformerischen Zeitläufte. Bis der Börsenkrach ihren Ambitionen ein abruptes Ende bereitete.
Was Margarete Golz vorschwebte, war eine ganzheitliche Bildung von Körper und Geist. Als sie im Oktober 1928 das Programm ihrer „Schule für Körperbildung und Atemgymnastik“ herausgab, betonte sie, erst in der „freien, ganzen, vollen Bewegung“ stelle sich der Mensch in seiner seelisch-leiblichen Einheit dar. Ihre Arbeitsweise kennzeichnete sie mit dem Begriff „durchgeistigtes Turnen“. Wenn Körper und Geist als Symbiose gedacht werden, muss sich auch beides zeigen – die Physis als Spiegelbild der Psyche. Da klingt es völlig nachvollziehbar, dass Margarete Golz auf hüllenlose Übungen pochte. „Die Notwendigkeit der miterlebenden Beobachtung durch den Lehrenden zieht die Forderung des Nacktturnens nach sich“, so das Credo der Schulleiterin.
Als angestrebtes Endergebnis ihres Unterrichts propagierte Margarete Golz „die strömende Vollatmung“. Erst wer das erreicht habe, könne darauf hoffen, in jedem Augenblick ganz bei sich selbst zu sein. Zweifellos ein esoterisch angehauchtes Konzept, das unverkennbar Züge des lebensreformerischen Zeitgeistes trug. Schon damals verkündeten selbsternannte Gurus ihre Heilsbotschaften, tummelten sich Aussteiger in der Mutter Natur. Und nicht anders als heute mischten sich auch damals schon rechtslastige Propheten unter wohlmeinende Vorturner. Man könnte diesen Verdacht auch bei Margarete Golz hegen. Zumal in ihrem Programm von „Kraft, Schönheit und Freude“ die Rede ist – wer denkt da nicht an die NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“?
Doch rassistische Zielsetzungen waren Margarete Golz fremd. „Wir huldigen keiner der heutigentags propagierten ‚Weltanschauungen‘“, teilte sie vorbeugend in ihrer Grundsatzschrift mit. Wir – das war vor allem sie. Und dann noch eine „Tafelrunde“ von Bewunderinnen, die sich in den Dienst ihrer Lehre stellte. Noch lange nach dem Ende ihrer praktischen Heiltätigkeit schwärmten ihre Schülerinnen von den Jahren mit der heute völlig vergessenen Heilpädagogin. Eine außergewöhnliche, schillernde Erscheinung, die es in den späten 1920er Jahren zu regionaler Bekanntheit brachte. Und es deshalb verdient, anlässlich des Weltfrauentags am 8. März in Erinnerung gerufen zu werden.
Berufsziel Opernsängerin
Eigentlich hatte die Tochter eines Droschkenkutschers aus Köln als Opernsängerin brillieren wollen. Damit ließ es sich auch recht gut an, nach einer ersten Ausbildung zur Krankenschwester bekam sie 1910 sogar ein Engagement an der Oper ihrer Geburtsstadt. Nicht als Margarete Golz, sondern unter dem etwas exotisch klingenden Künstlernamen Reta Gardow. Doch der Erste Weltkrieg machte alle schönen Träume zunichte: Ihr letzter Brötchengeber, das Stadttheater Barmen, stellte den Betrieb kriegsbedingt ein, die verhinderte Diva tat nun als Lazaretthelferin Dienst am Vaterland. Nach Kriegsende war es für die mittlerweile 40-Jährige dann zu spät für eine Bühnenkarriere.
Nach Bremen gelangte Margarete Golz um 1920. Sehr wahrscheinlich durch die Vermittlung einer reichen Fabrikantenfamilie, bei der sie etliche Jahre als Pflegerin der körperbehinderten Hausherrin angestellt gewesen war. Deren Kontakte zur vermögenden Kaufmannsfamilie Schütte ebneten ihr den Weg. Als nun schon reifere Frau trachtete sie danach, ihrer Berufung wenigstens ansatzweise treu zu bleiben. Wenn schon nicht als Künstlerin, dann eben als Lehrerin. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte sie selbst Atemgymnastik und Stimmbildung unterrichtet, damit wollte sie jetzt fortfahren.
Bereits in ihren ersten beiden Wohnungen an der Mathildenstraße 86 und 95 gab sie Privatunterricht. Ihr Neffe Herbert Golz schreibt in einer Abhandlung über seine außergewöhnliche Tante, sie habe eine Reihe von Schülerinnen „aus zumeist wohlhabenden Bremer Familien“ um sich geschart. Die einstige Opernsängerin als Mittelpunkt eines Kreises von Verehrerinnen, von Töchtern aus gutem Hause. Kein Wunder, dass Margarete Golz alsbald Zugang zur besseren Gesellschaft fand. Ein Foto von 1921 zeigt sie im Garten des Rechtsanwalts Heinemann, der sich später als Konkursverwalter des Nordwolle-Imperiums einen Namen machte.
Privatkredite halfen beim Bau des Schulungsheims Birkenheide
Zunächst machte sie nicht viel von sich reden. Im Programmheft heißt es, seit Beginn ihrer Tätigkeit als Heilpädagogin habe sie eine kleine Anzahl von Schülerinnen zur Mitarbeit herangebildet und erst „nach einem Jahrzehnt von Wirksamkeit in der Stille“ den nächsten Schritt getan und sich durch Gründung der „Schule für Körperbildung und Atemgymnastik“ an eine breitere Öffentlichkeit gewandt. Dabei kam ihr die wirtschaftliche Potenz ihrer Schülerinnen zugute. Oder richtiger: das Vermögen der Eltern, die ohne große Umstände ansehnliche Geldsummen in Form von Privatkrediten zur Verfügung stellten. Die werden dazu beigetragen haben, dass Margarete Golz 1927 eine stattliche Villa an der Hollerallee 87 gegenüber dem heutigen Park Hotel mieten konnte. Und ebenso, dass es ihr noch im gleichen Jahr möglich war, außerhalb Bremens nach einem geeigneten Ort für den Bau eines Schulungsheims Ausschau zu halten.
Fündig wurde sie nahe Ganderkesee in einem idyllisch gelegenen Waldstückchen. Im Mai 1927 pachtete sie das Grundstück und ließ darauf ein weiträumiges Holzgebäude errichten: das „Haus Birkenheide“, später als Jugendherberge Birkenheide viele Jahre lang ein beliebter Anlaufpunkt für zahllose Schulklassen aus Bremen. Nicht kleckern, sondern klotzen hieß die Devise: Architekt des auch künstlerisch ambitionierten Bauwerks mit seinem halbrunden Vorbau war kein Geringerer als Eduard Scotland, der erst kurz zuvor etliche Häuser in der Böttcherstraße entworfen hatte.
Bei der feierlichen Einweihung im September 1927 strahlte Margarete Golz ein geradezu unbändiges Selbstbewusstsein aus. Der Beruf der Körpererziehung „sollte ein heiliger Beruf sein“, erklärte sie im zeittypischen Pathos. „Starke Urkräfte müssen dem eigen sein, der ihn ausübt.“ Nicht minder euphorisch äußerte der Berichterstatter der Weser-Zeitung, der sich freilich nicht enthalten konnte, in seinem Artikel einen scherzhaften Seitenhieb auf das Nacktturnen zu platzieren. „Die bekannte Bremer Pädagogin Margarete Golz hat hier im Haus Birkenheide eine Schule für Gymnastiklehrerinnen eröffnet“, meldete er und fügte dann ziemlich unvermittelt hinzu, „das ist die nackte Tatsache.“
Doch was kümmerte Margarete Golz der verklemmte Humor eines Zeitungsjournalisten. Nichts schien den Gang der Dinge trüben zu können. Im Winter wurde in der Villa an der Hollerallee unterrichtet und im Sommer in der ländlichen Idylle von Birkenheide. Vier Jahre sollte die Ausbildung dauern. Und zwar durchaus nicht in sektiererischer Vereinzelung, sondern in enger Zusammenarbeit mit Repräsentanten der Schulmedizin, die Margarete Golz als Lehrkräfte wie auch als Mitglieder der Prüfungskommissionen gewinnen konnte. Ein scheinbar perfekter Weg, Körper- und Geistesbildung zu versöhnen.
Die Blüte währte indes nicht lange. Durch den Börsenkrach im Herbst 1929 wurden die Karten neu gemischt. Plötzlich geriet Margarete Golz finanziell stark unter Druck, vermutlich fanden sich keine Schülerinnen mehr ein mit der Folge, dass sie ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte. Noch bis Sommer 1930 konnte sich die Einrichtung in Birkenheide über Wasser halten, dann kam das endgültige Aus, wenig später war auch die Villa an der Hollerallee nicht mehr zu halten. Von ihren Gönnern war jetzt keine Hilfe mehr zu erwarten. Im Gegenteil, sie nahmen das Haus Birkenheide vertragskonform in Besitz und versuchten, es so schnell wie möglich abzustoßen.
Für Margarete Golz war das abrupte Ende ihrer Einrichtung ein schwerer Schlag. Nach Feststellung ihres Neffen blieb sie nach dem Ende ihres Schulbetriebs zwar eine „respektierte Heilerin“,
praktiziert habe sie allerdings nur noch in kleinerem Umfang. Gescheitert ist offenbar ein Versuch, ihr untergegangenes Institut wiederzubeleben. Im März 1934 richtete sie an die „Reichsarbeitsgemeinschaft der Berufe im sozialen und ärztlichen Dienste“ ein Ansinnen auf Zulassung einer Lehranstalt, die abermals „Schule für Körperbildung und Atemgymnastik“ heißen sollte. Erfolg war ihr damit aber nicht beschieden.
Die letzten Lebensjahrzehnte nach dem finanziellen Kollaps waren geprägt von häufigen Wohnungswechseln. Immer wieder bezog Margarete Golz ein neues Heim, einmal währte ihr Aufenthalt nur sechs Monate. Das einzige Kontinuum: Sie blieb in Schwachhausen, dem Stadtteil des wohlsituierten Bürgertums. Den Lebenswandel einer Grande Dame hat sich Margarete Golz trotz knapper Kasse bis zuletzt bewahrt. Wovon sie eigentlich ihren Unterhalt bestritt, ist nicht ganz klar. Vermutlich hat sie ihre Bedürftigkeit schamhaft vertuscht. Ihrem Neffen erklärte sie, Geld aus einem Fonds zu erhalten. Anders die Erklärung ihres Bruders, der schlichtweg von der Fürsorge sprach und damit wohl den Nagel auf den Kopf traf.
Im Alter von 85 Jahren ist Margarete Golz am 12. August 1963 in Bremen gestorben. Ihre letzte Ruhe fand sie auf dem Riensberger Friedhof.
von Frank Hethey