Das Gerumpel der eisenbereiften Räder war unüberhörbar / Ein Rückblick auf ein lautstarkes Kapitel Bremer Brauereigeschichte
Noch bis vor elf Jahren rollten sie als Imageträger durch die Bremer Innenstadt: die zweispännigen Pferdefuhrwerke der Haake-Beck Brauerei in der Neustadt. Lärmend holperten die eisenbereiften Räder über das Straßenpflaster. Für den Neustädter „Jung“ Peter Strotmann war das Musik in den Ohren. Selbst als „Prunkkutschen“ die schlichten Fuhrwerke abgelöst hatten, blieb der alte Zauber erhalten. Ein wenig wehmütig erinnert sich unser Autor an diese traditionelle Art der Bierauslieferung.
Kinder, Kinder wie die Zeit vergeht. Gerade mal elf Jahre ist es her. Da wurde das Bier der 1820 gegründeten Bremer Haake-Beck Brauerei noch mit zweispännigen Pferdefuhrwerken ausgeliefert. Jedenfalls bis Ende 2004 in der näheren Umgegend der Neustädter Brauerei. Hatte man bis vor Jahrzehnten noch jegliches Bier mit Pferdefuhrwerken ausgefahren, setzte man im Laufe der Zeit immer mehr LKWs ein. Zuletzt waren es reine Werbefahrten und Traditionspflege für das Haake-Beck Bier.
Meine Lehrzeit von 1963 bis 1966 verbrachte ich in direkter Nachbarschaft zur Haake-Beck-Brauerei. Dort in der Neustadt duftete es seinerzeit süßlich nach Bierherstellung, während von Jacobs her der Duft von frisch geröstetem Kaffee aufstieg. Dieses Gemisch hing wie eine Duftwolke in die Neustadt hinein, erreichte über die Weser auch die Altstadt. Je nach Wind- und Wetterlage mal mehr oder weniger.
Das Haupttor zur Brauerei befand sich am Ende der Schützenstraße. Diese Straße zweigte von der Großen Sortillienstraße ab. In der Schützenstraße hatte übrigens auch das Stadtoriginal Mudder Cordes (1815 bis 1905) bis 1895 gewohnt. Heute ist sie ein Teil vom Betriebsgelände der Brauerei Beck GmbH & Co. KG, die zum weltgrößten Bier-Konzern Anheuser-Busch InBev gehört.
Die Bauern kamen, um Malzrückstände für ihre Kühe abzuholen
In dieser Brauerei- und Kaffee-Ecke wurden nicht nur Biere von Haake Beck und Becks gebraut, auch die Brauerei Dressler war hier ansässig. Ich erinnere mich, dass die Bauern mit Pferd und Wagen oder dem Treckergespann zu den Brauereien fuhren, um den sogenannten Treber abzuholen. Treber, das sind ausgelaugte Rückstände des Malzes bei der Bierherstellung. Er wird von den Bauern an die Kühe verfüttert, um die Milchleistung zu erhöhen. Den Bauern wurde ihr Wagen mit dem warmen, feuchten Treber vollgeladen. Anschließend zuckelten sie dann mit der dampfenden Ladung aufs Land hinaus. Natürlich suppte es aus allen Ritzen der Ladefläche auf die Straße. Und diesen süßlichen Geruch verliere ich nicht aus der Nase.
Nur Haake-Beck fuhr sein Bier im Nahbereich zur Brauerei mit Pferdefuhrwerken aus. In der Neustadt sowieso und auch in der Bremer Altstadt. An den Liefertagen fuhren die Pferdewagen voll beladen ab und kamen mit Leergut wieder zur Brauerei zurück. Das war nicht zu überhören, denn die eisenbereiften Räder holperten lärmend über das Straßenpflaster.
Im Laufe der Jahre wurde die Auslieferung mehr und mehr auf Lastkraftwagen umgestellt. Die Haake-Beck Brauerei verstand es zuletzt mehr als Werbung für ihr Bier. Deshalb schaffte man „Prunkkutschen“ an, auf denen alles nur so blitzte. Diese fuhren bei Veranstaltungen und Umzügen mit. Auch eine Anzahl Kutschen wurde vorgehalten, um Gästen die eine oder andere Ausfahrt in die Stadt und Umgegend zu ermöglichen. Darunter war eine Kutsche für 15 Personen.
Die Kutschen hielten in fotogenem Abstand vor dem Schütting
Vormittags war es mir auf dem Marktplatz ein so vertrautes Bild: Man hörte das Pferdefuhrwerk der Haake-Beck Brauerei schon von weitem anrollen. Meist machten sie in fotogenem Abstand vor dem Schütting halt. Die Kutscher waren sauber gekleidet. Im Sommer mit weißen Hemden und roten Westen. Sie trugen Schirmmützen auf der stirnseitig der Schriftzug „Haake-Beck“ in roten Buchstaben zu lesen war. Dazu hatten die Kutscher bis kurz über die Knie reichende Lederschützen umgebunden. Es waren immer zwei Kutscher da. Die Pferde standen vollkommen ruhig, Brauereipferde eben. Es waren prächtige Rappen aus Oldenburger Zucht, wie man so hörte. Man konnte unbesorgt daran vorbeigehen. Vor allem, wenn sie ihr rundes Hafersäckchen vors Maul geschnallt bekommen hatten. Vorne fraßen sie und hinten platschten die Pferdeäpfel aufs Pflaster.
Die Kutsche mit den Fässern stand gebremst da. Die Fässer waren aufgestapelt und lagen auf der Pritsche zwei Fass hoch. Aber auf schrägen, nach innen geneigten Böden. Damit waren sie vorm Herausfallen gesichert. Und das war auf beiden Seiten so. Nun holten die Kutscher ein Fass heraus und ließen es auf den Fußweg oder Straße liegenden Sack fallen. Der war aus Leder und wahrscheinlich mit Sand gefüllt. Soweit ich weiß, waren die Fässer aus silbrig glänzendem Aluminium. 30 oder 40-Liter bauchige Fässer mögen es gewesen sei. Sie trugen allerhand eingeschlagene oder gravierte Zahlen und Buchstaben.
Das Rollgeräusch der Fässer war ohrenbetäubend
Und ich meine auch, dass die Inhaltsangabe unterschiedlich war, denn bei der Eichung wurde das tatsächliche Volumen bestimmt. Ein Fuhrmann wuppte das Fass vom Ledersack und rollte es zur Gaststätte. Das
Rollgeräusch war ohrenbetäubend. Er rollte es bis zu einer geöffneten Luke vor der Gaststätte und ließ es vielleicht einen Meter hinunter plumpsen, von wo aus das Fass in den Bierkeller gebracht wurde. Es waren auch schräg angestellte Bretterrampen üblich, über die die Fässer vom Fuhrwerk und in den Bierkeller entladen wurden. Leerfässer wurden wieder mitgenommen.
War alles Fassbier, aber auch Getränkekisten für die jeweilige Gaststätte ausgeliefert, bekamen die Pferde das Hafersäckchen wieder abgebunden. Das bekamen sie übrigens nicht bei jeder Fahrpause umgebunden. Da machte sich einer daran, die Pferdeäpfel aufzufegen und in einen Eimer zu schütten. Den Eimer hängte er dann hinten ans Fuhrwerk. Derweil zog der andere Kutscher die Planen vor den Fässern zu.
Für die Kinder immer eine besondere Attraktion
Meist während der ganzen Stillstandszeit hatten Kinder und Erwachsene versucht, mit den Pferden Kontakt aufzunehmen. Kleine Kinder wurden von den Eltern hochgehohen, damit sie Aug in Aug mit den Pferden waren. Manchmal wollte ein zartes Kinderärmchen ein Pferd berühren. Doch in dem Moment bewegte sich der Pferdekopf und das Kind zog den Arm schnellstens wieder zurück. Wenn die Kutscher noch etwas Zeit hatten, gaben sie den Kindern Zuckerstücke in die Hand. Die sollten sie den Pferden zu fressen geben. Man sah ganz mutige und ganz schüchterne Kinder. Es wurden Fotos gemacht. Aber irgendwann mussten die Kutscher weiter. Und ganz langsam kamen zwei Pferdestärken wieder in Fahrt. Mit den eisenbeschlagenen Rädern machte das ganz schön Lärm.
Seit Ende 2004 ist das Geschichte. InBev, der neue Eigentümer der Brauerei, rationalisierte diese traditionelle Art der Bierauslieferung weg. Die Pferde und alles Zubehör wurden verkauft, die Stallungen umgebaut. Man hätte damit jährliche Kosten in sechsstelliger Höhe eingespart, so las man es in den Zeitungen. Das ist meiner Meinung nach zu kurz gedacht. Denn der Werbeeffekt für das „rote“ Haake Beck war für Bremer und Touristen doch immens. Aber Konzernstrategen müssen nur auf die Dividende sehen.
Die letzten Gespanne sollen noch im Mai 2005 durch Bremen gezuckelt sein. Pferde und Kutschen übergab man im Juni 2005 an Pferdeliebhaber in Lemwerder und Heide. Das war das Ende einer jahrzehntelangen Bremer Tradition.
von Peter Strotmann