Zum Tod von Altbürgermeister Hans Koschnick: Persönliche Eindrücke von einem Mann, der nicht nur Bremen seinen Stempel aufdrückte
Zweimal hat Bremen History-Autor Frank Hethey im Herbst vergangenen Jahres mit Altbürgermeister Hans Koschnick telefoniert. Zu einer persönlichen Begegnung reichte es schon damals nicht mehr. Einmal dauerte das Gespräch über eine Stunde, dann nur noch 16 Minuten. Ein einfacher Gesprächspartner ist Koschnick sicher nicht gewesen. Knurrig konnte er sein und unwirsch, wenn er mangelnde Orientierung zu erkennen meinte. Und doch gab er in seinen letzten Interviews viel preis – über sich selbst und seine politischen Überzeugungen.
Als ich mich zum ersten mal bemühte, mit Hans Koschnick in Kontakt zu treten, ging es mir gar nicht um seine Person. Sondern um Hermann Wolters, einen heute so ziemlich vergessenen Senator der frühen Nachkriegsjahre. 1958 stolperte der ehemalige Kommunist um einen nie ganz aufgeklärten Vorfall in Bonn. Einen angeblichen Raubüberfall, dem Wolters zum Opfer gefallen sein wollte. Nach seinem Rücktritt kam Wolters nie mehr richtig auf die Beine. Als Innensenator hatte sich Koschnick mit seinen Pensionsansprüchen befasst, das wusste ich aus dem Aktenstudium im Staatsarchiv. Darüber wollte ich ihn befragen, als vielleicht letzten lebenden Zeitzeugen, der Wolters aus eigenem Erleben kannte.
Das war im Spätsommer 2014. Damals war Koschnick gesundheitlich noch einigermaßen belastbar, ein Besuchstermin im Rathaus war bereits vereinbart. Natürlich sollte es dabei nicht nur um Wolters gehen, ich wollte die Gelegenheit nutzen, um das eine oder andere Thema aus seiner Amtszeit als Bürgermeister anzusprechen. Eine gute Woche vor dem anberaumten Termin dann der Rückzieher. „Leider hat Herr Koschnick mich gebeten, alle Termine in nächster Zeit abzusagen“, teilte mir die Senatskanzlei mit. Als Ersatz bot man mir ein Telefonat an, das dann allerdings im Jahresverlauf nicht mehr zustande kam.
Fast ein dreiviertel Jahr herrschte danach Sendepause. Die erneute Kontaktaufnahme gestaltete sich erstaunlich unkompliziert. Anfangs schien es sogar noch, als könne ich Koschnick persönlich sprechen. Doch daraus wurde nichts mehr, es ist bei zwei Telefonaten geblieben. Das erste dauerte über eine Stunde, das zweite währte nur noch 16 Minuten und fand schon unter der Vorgabe statt, dass es nicht allzu lange dauern dürfe. „Ich bin im Augenblick nicht gut zuwege und möchte in Ruhe gelassen werden“, sagte Koschnick. „Aber ich antworte gern auf Telefonanfragen.“
Man musste immer damit rechnen, dass er einem ins Wort fiel
Ein einfacher Gesprächspartner ist Koschnick sicher nicht gewesen. Man musste immer damit rechnen, dass er einem ins Wort fiel. Einen unwirsch unterbrach, wenn er meinte, man sei unzureichend orientiert über die Vergangenheit. Den zaghaften Einwand, Geschichte studiert zu haben, Historiker zu sein, fegte er glattweg vom Tisch. „Das sagt ja gar nichts“, entgegnete er brüsk. Eine knurrige Replik, die erst einmal geschluckt sein wollte. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass Koschnick es nicht persönlich meinte. Dass dabei gewiss auch Vorbehalte des Arbeiterkindes gegen Akademiker eine Rolle spielten. Wir da unten, ihr da oben.
Nach seinem Tod stöberte ich ein wenig im Online-Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dort seien zahlreiche Texte von und über Koschnick zu finden, hieß es am Ende der Trauerbekundung. Auf gut Glück pickte ich mir eine Verlautbarung vom Oktober 1979 heraus, ein kurzes, namentlich gezeichnetes Statement im Sozialdemokratischen Pressedienst. Das Thema: der Kampf gegen die Bürokratie. Besonders verärgert war er über die „überwiegend akademisch geführte Bürokratiediskussion“. Vor allem den einfachen Leuten müsse geholfen werden, das Labyrinth der Verwaltungen zu durchdringen. „Denn die Leidtragenden der überbürokratisierten Verwaltungen sind die Kleinen, nicht die Großen.“
Hans Koschnick als Sachwalter der kleinen Leute. Das war bei ihm keine Masche, sondern ehrliche Überzeugung. Ein Anliegen, das für ihn als SPD-Politiker höchste Priorität hatte. Wohl kaum ein Ereignis hat das deutlicher gemacht als die Pleite der AG Weser. Zumal sich das Drama auch noch direkt in seiner alten Heimat abspielte. „Denken Sie daran: Ich bin Gröpelinger!“, sagte Koschnick im Interview. „Es war sozusagen unsere Hauswerft. Und wenn da was kaputtgeht, ist man nicht mehr der gleiche. Man kann doch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, wenn Tausende Arbeiter ihren Job verlieren.“
An einem ausgeprägten Selbstwertgefühl hat es Koschnick nie gemangelt. Auf die Frage, ob er 1955 als jüngster Bürgerschaftsabgeordneter irgendwie gehemmt gewesen sei, reagierte er mit völligem Unverständnis. „Nee, warum sollte ich? Ich bin für bestimmte Dinge gebraucht worden.“ Wohl wahr: erst im Parlament, dann auf der Regierungsbank zunächst als Senator, dann als Bürgermeister.
Es wirft ein erhellendes und bezeichnendes Licht auf ihn, wie er die Frage nach den größten Errungenschaften seiner Amtszeit beantwortete. Lange überlegen musste er dafür nicht. „Wir haben Daimler-Benz aufgebaut. Da haben wir die gleiche Zahl der Arbeitskräfte, die wir bei der Borgward-Pleite verloren hatten, dann wiederbekommen, wenn auch mit einiger Verspätung. Wir haben die Universität gebaut. Und wir haben die modernen Hafenanlagen in Bremerhaven gebaut.“
Doch Koschnick war nicht nur Landespolitiker, auch bundespolitisch und in der internationalen Politik hinterließ er seine Spuren. Unvergessen seine Rolle als EU-Administrator in Bosnien-Herzegowina, als er um Haaresbreite einem entfesselten Mob zum Opfer gefallen wäre.
Die große Politik hat er bis zuletzt aufmerksam verfolgt. Und auch dabei immer die Nöte der kleinen Leute im Blick gehabt. Egal, ob es sich um kleine Leute mit deutschem oder ausländischem Pass handelte. Zum Flüchtlingszustrom sagte er: „Wenn ich als Betroffener Angst in der Hose habe, dann renne ich. Und warte nicht, bis andere eine Lösung gefunden haben. Wer auf dem Balkan war, weiß, was es bedeutet, wenn sich Volksgruppen in die Wolle kriegen.“
Mit Hans Koschnick hat nicht nur Bremen einen großen Sohn verloren. Sondern auch Europa einen großen Menschenfreund.
von Frank Hethey