Vor 75 Jahren wurde der Kindermörder Bodo Fries gefasst – der „Kannibale“ ist bis heute berüchtigt

Zum Abendessen gab es bei Familie Fries am 25. Juni 1947 ein kleines Stück Leber. Der Herr des Hauses, Bodo Fries, hatte es nach eigenem Bekunden von einer Hamsterfahrt aufs Land mitgebracht. Seine Frau und der fünfjährige Sohn ließen es sich schmecken, Fleisch gab es nicht alle Tage. Weniger Appetit hatte dagegen der Familienvater, nur widerstrebend verspeiste er den vermeintlichen Leckerbissen. Was Frau und Sohn nicht ahnten: Die Leber stammte von einem Menschen – vom zwölfjährigen Ernst Sprenger, den Fries wenige Stunden zuvor umgebracht hatte.

Der zweifache Kindermörder Bodo Fries.
Foto: Georg Schmidt

Die Mordtat vor 75 Jahren zählt zu den spektakulärsten Kapitalverbrechen der Bremer Nachkriegsgeschichte. Als „Cannibal Killer“ stellt ein englischsprachiger Youtube-Clip den Mörder vor. Doch Bodo Fries hatte nicht nur den jungen Sprenger auf dem Gewissen, dem die gemeinsame Hamsterfahrt bei Hellwege zum Verhängnis wurde. Wie sich im Zuge der Ermittlungen zeigte, hatte er knapp zwei Jahre zuvor noch ein weiteres Kind erschlagen, den damals neunjährigen Wolfgang Windrath. Beim Holzsammeln war Fries dem Jungen im Stadtwald begegnet und hatte seine Hilfe angeboten. Die „Bild“ wollte vor ein paar Jahren wissen, mit seiner Familie habe er auch ihn verzehrt.

Beide Kinder waren völlig arglos, in beiden Fällen näherte sich Fries von hinten und schlug mehrere Male auf ihre Köpfe ein. Bei Sprenger mit dem stumpfen Teil eines Beils, bei Windrath mit einem schweren Holzstück. Auch wenn in den frühen Nachkriegsjahren das Klima rau war und in Bremen etliche Tötungsdelikte für Schlagzeilen sorgten, hatten die brutalen Kindermorde eine andere Qualität. Den WESER-KURIER erinnerten die „unheimlich stechenden Augen“ des Angeklagten an Rasputin. Dazu das „brutal vorspringende Kinn“ – man erkannte die diabolische Physiognomie eines Unmenschen. Als Doppelmörder wurde der geständige Täter am 12. April 1949 vom Schwurgericht zum Tode verurteilt, es war das letzte jemals gefällte Todesurteil in Bremen. Vollstreckt wurde es nicht mehr, das Grundgesetz schaffte die Todesstrafe im Mai 1949 ab. Stattdessen erhielt Fries nach seiner Revision eine lebenslange Zuchthausstrafe.

Der frühere, schon verstorbene Kriminalbeamte Werner Oelkers erinnert sich an den Fall Fries in seinem Buch „Morde in Bremen und andere Kriminalfälle der Nachkriegszeit“. Einen noch weitaus präziseren, ungetrübten Einblick in die Ermittlungsarbeit der Polizei geben die erhaltenen Akten im Staatsarchiv. Die Berichte einzelner Beamten, Vernehmungsprotokolle, Anfragen und Antworten, Gesprächsnotizen und Gutachten machen Hunderte von Seiten aus. Beim vermissten Wolfgang Windrath ging die Polizei zunächst von einem Entführungsfall aus, verdächtigt wurden die geschiedenen Ehepartner seiner Mutter und seines Stiefvaters. Doch es kam nichts dabei heraus, auch Aufrufe an die Bevölkerung blieben ergebnislos.

Das erste Mordopfer Wolfgang Windrath.
Foto: Georg Schmidt

Ganz anders verlief die Suche nach Ernst Sprenger. Seine Mutter wusste vom Umgang ihres Sohnes, auf Anregung von Fries hatte er um die Erlaubnis zur Hamsterfahrt gebeten. Das erste Mal hatte sie noch abgelehnt. Als ihr Sohn nicht wieder auftauchte, stellte sie Fries zur Rede. Der leugnete zuerst, mit ihm unterwegs gewesen zu sein. Eine leicht zu widerlegende Lüge, rasch geriet er in den Fokus der Ermittlungen. Unter dringendem Tatverdacht wurde der damals 36-Jährige zwei Tage nach dem Verschwinden des Jungen am 27. Juni 1947 verhaftet.

Den Mord an Windrath bestritt Fries zunächst, er gestand ihn erst im September 1948. Immerhin hatte er die Tat erfolgreich vertuschen können. Die Leiche des Jungen versteckte er in einem Papiersack und transportierte sie mit seinem Fahrrad unbehelligt vom Stadtwald ins Blockland. Unweit der Schule legte er die Leiche im Gestrüpp ab und tarnte sie mit Zweigen. Erst ein halbes Jahr später, am 13. April 1946, wurden die schon stark skelettierten Überreste gefunden. In der Polizeimeldung ist von einer „scheinbar weiblichen Leiche“ die Rede.

Zu diesem Zeitpunkt lebte Fries noch allein in Bremen. Seine blutjunge Frau kam mit dem gemeinsamen Sohn erst im Sommer 1946 nach. Mit Kindern konnte Fries gut, als Steward in Diensten des Norddeutschen Lloyd hatte er sich gern um den Nachwuchs der Passagiere gekümmert. Auch später, in den frühen Nachkriegsjahren, waren häufig Kinder an seiner Seite. Inzwischen Rangierer auf dem Gelände der früheren Weserflug am Industriehafen, stieß der „Onkel mit der Brille“ auf die Jungen, wenn sie an den Gleisen heruntergefallene Kohlen sammelten. Vier Wochen vor dem zweiten Mord machte er die Bekanntschaft von Sprenger.

Im Affekt geschahen die Morde nicht. Als Sprenger mit Fries aufbrach, war sein Schicksal schon besiegelt. Mindestens drei bis vier Tage vorher hatte Fries den Tötungsvorsatz gefasst. „Ich musste unter allen Umständen den Jungen töten, koste es, was es wolle“, sagte er später. Irgendwelche Gewissensbisse quälten ihn nach eigener Aussage „merkwürdigerweise“ nicht, er habe die Nächte zuvor gut geschlafen. Ähnlich verhielt es sich bei seinem ersten Opfer Windrath. Einen Tag vor der Tat beschloss Fries, ihn zu töten.

Doch warum die Morde an den beiden Jungen? Von Anfang stand die Frage im Raum, ob es sich um Sittlichkeitsverbrechen gehandelt habe. Fries bestritt das energisch, ein Gefühl sexueller Befriedigung will er nicht verspürt haben. Es habe ihn aber „ein gewisser Rausch“ erfasst – ein Tötungsrausch, den er mit einem Kriegserlebnis in Verbindung brachte. Bei einem Einsatz gegen italienische Partisanen war er Ende 1944 an einer Vergeltungsaktion gegen Dorfbewohner beteiligt gewesen. „Wir haben alles, was Mensch war, kurz und klein geschlagen.“

An Kriegsverbrechen beteiligt: die deutsche Wehrmacht. Das Archivfoto vom 24. Juni 1941 zeigt deutsche Infanteristen, die schwere Gefechtsfahrzeuge in der litauischen Ortschaft Vilkija bergauf ziehen.
Quelle: dpa

Die beiden Mordtaten also als Werk eines traumatisierten Soldaten? Stand Fries unter einem krankhaften Wiederholungszwang? So weit wollte er bei den Vernehmungen nicht gehen. Gleichwohl ließ er durchblicken, die Mitwirkung am Massaker habe Hemmschwellen beseitigt, eine gewisse Mordlust in ihm geweckt. „Zu Anfang konnte ich mich auch immer noch dagegen auflehnen. An sich war es etwas Lästiges und Fremdes.“ Doch der Gedanke sei immer stärker geworden, irgendwann habe er sich dann treiben lassen.

Auf Kinder war Fries nach eigener Angabe nicht fixiert. Die Gelegenheit habe sich einfach ergeben, erklärte er. Bei Windrath, weil er zutraulicher als die anderen Kinder gewesen sei. Prinzipiell habe er seinen Tötungsdrang  aber auch an Frauen oder Männer stillen können. So richtig schlau wurde man aus Fries nicht. Zwei Psychiater bemühten sich vergebens, seine Motivation zu ergründen. Die Kernfrage stellte der WESER-KURIER im November 1947: „Wie konnte ein Vater, der mit seiner Familie ein geregeltes Leben führt und auch in Berufskreisen einen guten Leumund besitzt, zu dieser Tat fähig sein?“

Verstörend war vor allem der Kannibalismus im Fall Sprenger. In den Vernehmungen gab Fries an, er habe die Leiche zerstückelt, um die Einzelteile besser in einer „fuchsbauähnlichen Vertiefung“ verstecken zu können. Mit einem Taschenmesser trennte er die unteren Extremitäten vom Rumpf und schlitzte die Bauchdecke auf. Doch plötzlich sei er durch den Pfiff eines Menschen und Hundegebell aufgeschreckt worden. In aller Eile habe er den Oberkörper mit Kopf und Armen in ein Gebüsch geworfen. Die Leber und ein Oberschenkel seien zurückgeblieben. Beides will Fries in Panik in seinem Rucksack verstaut haben. Die Richter nahmen ihm das nicht ab, sie vermuteten einen kannibalistischen Vorsatz.

Penibel verzeichnet: Polizeiskizze vom Fundort der Windrath-Leiche.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Fries dagegen stellte den Verzehr der Leichenteile als Verkettung unglücklicher Umstände dar. Seine Frau habe Fleisch und Leber in seiner Abwesenheit vorgefunden. Zur Erklärung behauptete Fries ihr gegenüber, er habe beides auf dem Schwarzmarkt gekauft. Die Leber musste nach Ansicht seiner Frau unverzüglich gebraten werden, aus dem Fleisch machte sie Frikadellen, die am nächsten Tag gemeinsam verzehrt wurden. Um keinen Verdacht zu erregen, habe er wohl oder übel mitessen müssen, so Fries. Eine Version, die ein späterer Gutachter für absolut glaubwürdig hielt. Was übrig blieb, wurde als Sauerbraten eingelegt, einen Rest davon lieferte seine Frau bei der Polizei ab.

Am Ende war man sich nur einig, dass Fries voll verantwortlich für seine heimtückischen Taten sei, eine Geisteskrankheit liege nicht vor. Wirkliche Reue zeigte Fries bis zuletzt nicht. Als Höchststrafe schloss die Bremer Landesverfassung von 1947 die Todesstrafe nicht aus, in Bremen war sie zuletzt 1922 per Fallbeil an einem Mörder vollstreckt worden (mehr dazu hier). „Der Anspruch der Allgemeinheit auf Schutz des Menschenlebens, die Abschreckung Anderer und die Sühne für diese grausigen Taten an den unschuldigen Kindern lässt die Todesstrafe in keinem Falle als unangemessen erscheinen“, urteilten die Richter im Fall Fries.

Fast wäre Fries doch noch eines gewaltsamen Todes gestorben. Im August 1950 attackierte ihn im Zuchthaus Oslebshausen ein Mithäftling, der „Einbrecherkönig“ Hermann Schmidt. Mit einer Schneiderschere versetzte der 31-Jährige dem Kindermörder insgesamt sieben Stiche. Dabei rief er: „Ich will dich schreien hören wie die Kinder, die du ermordest hast.“ Ein Irrtum – beide Jungen gaben bei ihrer Ermordung keinen Laut von sich. Später wurde Fries nach Hamburg-Fuhlsbüttel verlegt, mehrere Gnadengesuche fanden kein Gehör. Fries selbst argwöhnte, er werde als Jude benachteiligt. Eine merkwürdige Angelegenheit, nie zuvor war davon die Rede gewesen, in seinem Totenschein ist die evangelische Religionszugehörigkeit angegeben.

Ohne Reue: Bodo Fries 1949 vor dem Bremer Schwurgericht.
Foto: Georg Schmidt

Womöglich gibt es aber auch noch eine ganz andere Erklärung für die beiden Kindermorde. Schon in der Untersuchungshaft verglich sich Fries gegenüber einem Zellengenossen mit zwei berüchtigten Lustmördern aus der Zeit der Weimarer Republik, Fritz Haarmann und Peter Kürten. In der Anklageschrift wird diese Aussage kurz erwähnt, in der Urteilsbegründung gehen die Richter darauf ein. Nachweisen ließ sich ein Sexualdelikt aber nicht.

Gegenüber einem Gutachter erklärte Fries jedoch viele Jahre später, beide Jungen vergewaltigt zu haben. Nicht zuletzt die unerfüllte Ehe und der ungewollte Sohn sollen Aggressionsgefühle geschürt haben. „Dieses Gefühl projizierte er schließlich auf die beiden von ihm ermordeten Jungen“, heißt es in dem Schriftstück von 1972. Wie glaubhaft dieses Bekenntnis ist, lässt sich schwer beurteilen. Zu denken gibt allerdings, dass Fries damit erst nach mehreren gescheiterten Gnadengesuchen herausrückte. Seine sexuellen Triebregungen hätten „spürbar nachgelassen“, so der Gutachter, eine Begnadigung sei zu befürworten.

Freilich dauerte es noch bis zum 1. März 1979, ehe Fries unter strengen Bewährungsauflagen entlassen wurde. Der damals 68-Jährige musste in das Bodelschwingh-Haus ziehen, eine Einrichtung für Wohnungslose. Sonderlich viel hatte Fries von seiner wiedererlangten Freiheit nicht mehr: Er starb am 25. November 1979 in einem Hamburger Krankenhaus nach einem Schlaganfall.

Lange Zeit vergeblich gesucht, hier im Juli 1948 mithilfe eines Plakats im Stadtwald: der vermisste Wolfgang Windrath. 
Foto: Georg Schmidt

Jung, aber mit viel Geschichte

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