Privatfotos dokumentieren frühe Bombenschäden in Bremen

Radler vor Trümmerwüste: Christine Böhne inszenierte ihre Aufnahmen. Foto: Privat

Radler vor Trümmerwüste: Christine Böhne inszenierte ihre Aufnahmen.
Foto: Privat

Als der Bombenkrieg in Bremen ankam, drückte Christine Böhne auf den Auslöser ihres Fotoapparats. Ihre Aufnahmen vom Januar und Mai 1941 dokumentieren die verheerende Wirkung englischer Nachtangriffe. Gehindert wurde sie daran ganz offenbar nicht: Mal stand sie mitten auf der Straße, mal nahm sie sich Zeit für geradezu künstlerische Arrangements – da musste denn auch ein Radfahrer vorm Trümmerfeld posieren.    

Der Krieg war noch jung, als Christine Böhne ihre ersten Aufnahmen von Bombenschäden machte. Ein Bild vom 2. Januar 1941 zeigt eine ausgebrannte Häuserfront am Werderufer. Und davor ein paar flanierende Passanten, unter ihnen ein Mann, der mit einem Arm auf die Zerstörungen deutet. Auf einem anderen Foto vom gleichen Tag ist ein älterer Radfahrer zu sehen, der vor den rauchenden Überresten des Bauhofs posiert. Insgesamt 18 Mal hat Christine Böhne am 2. und 3. Januar 1941 auf den Auslöser gedrückt.

Fast scheint es, als habe sie ein feines Gespür dafür gehabt, dass der Luftkrieg in diesen Tagen eine neue Qualität erreichte. Bis dahin waren die Schäden noch überschaubar gewesen, waren vor allem industrielle und militärische Anlagen das Ziel englischer Bomber gewesen.

Zog mit ihrem Fotoapparat durch Bremen: Christine Böhne dokumentierte die ersten schweren Bombenschäden in der ersten Jahreshälfte 1941. Foto: Privat

Zog mit ihrem Fotoapparat durch Bremen: Christine Böhne dokumentierte die ersten schweren Bombenschäden in der ersten Jahreshälfte 1941. Foto: Privat

Doch seit Oktober 1940 nahmen die Briten keine Rücksicht mehr auf die Zivilbevölkerung, fortan sollten gezielte Angriffe auf Wohnviertel die Deutschen demoralisieren. Um die eigenen Verluste gering zu halten, kamen die Bomber auch nicht mehr tagsüber, sondern in der Nacht. Erst Brandbomben, dann Sprengbomben, das war das Rezept für eine möglichst verheerende Wirkung.

Neue Strategie mit Luftangriffen vom Januar 1941

Die nächtlichen Luftangriffe vom 1. bis 3. Januar 1941 markierten den Anfang der neuen Strategie. Nahezu 100 Wohnhäuser wurden zerstört, 27 Menschen kamen ums Leben. Für den Historiker Herbert Schwarzwälder war das „der erste Höhepunkt des Luftkrieges“ in Bremen, in der Bevölkerung habe die Angriffsserie einen „schweren psychologischen Schock“ ausgelöst. Von nun an war klar: Die deutsche Luftabwehr konnte keinen ausreichenden Schutz vor den Angriffen bieten. Der Krieg kehrte zurück nach Deutschland.

Die Frau, der wir die Aufnahmen verdanken, war eine radelnde Hobbyfotografin. Aus einer Schneiderfamilie stammend, verdiente sie als Weißnäherin ihr Geld. „Sie hat bei betuchten Familien gearbeitet“, berichtet ihre Großnichte Lieselotte Hoffmann, in deren Besitz sich die bemerkenswerte Fotosammlung heute befindet. Wo diese „betuchten Familien“ wohnten, lässt sich an ihren Aufnahmen ablesen. Teils in der Neustadt, teils in Schwachhausen.

Blick aus einem zerstörten Haus am Werderufer - eine nicht ganz ungefährliche Art der Fotodokumentation. Foto: Privat

Blick aus einem zerstörten Haus am Werderufer – eine nicht ganz ungefährliche Art der Fotodokumentation.
Foto: Privat

Das Erstaunliche: Versteckt hat sich die damals 53-Jährige nicht, wenn sie ihre Kamera zückte. Häufig stand sie auf offener Straße, mitunter auch mitten in den Trümmern. Mal lichtete sie das zerstörte Technikum in der Neustadt von der Mitte der Langemarckstraße ab, dann vergnügte Hitlerjungen an einem Bombenkrater im Bürgerpark. Keine Spur von Heimlichtuerei, kein Hinweis auf Versuche, möglichst wenig Aufsehen zu erregen.

Kein offizielles Fotografierverbot

Tatsächlich ist es ein verbreiteter Irrglaube, das Fotografieren von Bombenschäden sei offiziell verboten gewesen. Bis 1942 verbreitete sogar die Presse öfter mal Aufnahmen der Zerstörungen. Erst als der Luftkrieg immer größere Verwüstungen anrichtete, waren solche Bilder unerwünscht. Jetzt wurden sie nur noch zur Schadensdokumentation angefertigt, nicht mehr zum Zwecke der Veröffentlichung. Kein Wunder also, dass vielfach die Überzeugung herrschte, es gebe ein offizielles Fotografierverbot. Die Gestapo tat das ihre dazu, wenn sie private „Trümmerknipser“ drangsalierte.

Doch was trieb Christine Böhne dazu, die ersten gravierenden Bombenschäden so aufwändig zu dokumentieren? Darüber lasse sich nur spekulieren, sagt Lieselotte Hoffmann. Eine politische Motivation schließt sie aus. Ihre einzige stichhaltige Erklärung: „Sie war eben sehr neugierig.“ Und da ihre Großtante stets mit dem Fahrrad zu ihren Auftraggebern gelangt sei, habe sie ausreichend Zeit und Gelegenheit gehabt, diese Neugier zu befriedigen.

Volltreffer an der Ecke Fedelhören/Dobben: Christine Böhne stand mitten auf der Straße, als sie diese Aufnahme am 8. Mai 1941 machte. Foto: Privat

Volltreffer an der Ecke Fedelhören/Dobben: Christine Böhne stand mitten auf der Straße, als sie diese Aufnahme am 8. Mai 1941 machte. Foto: Privat

Bei ihren fotografischen Erkundungen hatte es Christine Böhne offenbar nicht eilig. Einige Motive wirken geradezu arrangiert. Etwa die Aufnahme des zerstörten Bauhofs mit dem abgestiegenen Radfahrer im Vordergrund. Man könnte meinen, sie hätte damit ein wenig Leben in die noch rauchende Trümmerwüste bringen wollen.

Andere Bilder erwecken den Eindruck, als habe sie besonders ausgefallene Blickwinkel gesucht. Schon fast künstlerisch in Szene gesetzt wirkt ein verbogener Stahlträger, der eine Aufnahme der beschädigten Buderus’schen Eisenwerke an der Hohentorstraße dominiert. Ähnlich der Blick durch eine ausgebrannte Fensterhöhle am Werderufer.

Auch in zerstörte Häuser gegangen

Doch nicht immer hielt es sie auf der Straße. Mindestens einmal begab sich die 53-Jährige auch in ein völlig zerstörtes Gebäude. Ein kühnes, eigentlich leichtsinniges Unterfangen angesichts drohender Einsturzgefahr. Anscheinend wollte sie auch mal die Perspektive wechseln, auch mal einen Kamerablick von innen nach außen werfen. Das Ergebnis spricht für sich: Hell glitzert der Schnee durch bodentiefe Öffnungen, im scharfen Kontrast dazu steht der finstere Innenraum mit einer dekorativ geborstenen Wand.

Erst auf den zweiten Blick zu erkennen: ein spielendes Kind in der Fitgerstraße. Foto: Privat

Erst auf den zweiten Blick zu erkennen: ein spielendes Kind in der Fitgerstraße. Foto: Privat

So abrupt wie die fotografischen Streifzüge beginnen, so abrupt hören sie auch wieder auf. Eine Erklärung dafür hat Lieselotte Hoffmann nicht. Zwar hat sie ihre Großtante noch persönlich gekannt, aber über die Fotos sei genauso wenig gesprochen worden wie über den Krieg und die Hitler-Zeit an sich.

Die letzten Aufnahmen stammen vom 9. Mai 1941. Entstanden sind sie größtenteils in Schwachhausen, unter anderem in der Fitgerstraße. Zwei Bilder zeigen das schwer beschädigte Gebäude mit der Hausnummer 12. Erst auf den zweiten Blick erkennt man auf einem der beiden Bilder einen kleinen Jungen. Vielleicht ist er zufällig aufs Bild geraten, vielleicht wollte Christine Böhne damit aber auch eine Botschaft verknüpfen – ein unschuldiges Kind vor seinem zerstörten Elternhaus.

von Frank Hethey

Verbogener Stahlträger künstlerisch in Szene gesetzt: Christine Böhne suchte bei ihren Aufnahmen den besonderen Blickwinkel. Foto: Privat

Verbogener Stahlträger künstlerisch in Szene gesetzt: Christine Böhne suchte bei ihren Aufnahmen den besonderen Blickwinkel. Foto: Privat

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