Als Orchestermitglied spielte Walter Bobsin an Bord der „Bremen“ / 1940 ist er in Frankreich gefallen
Auf ein breites Echo ist im Februar 2015 die Bremen History-Berichterstattung über die „Bremen“ gestoßen. Zwar gibt es nur noch wenige Menschen, die eigene Erinnerungen an den legendären Schnelldampfer des Norddeutschen Lloyd beisteuern könnten – ist das Schiff doch bereits vor über 70 Jahren ausgebrannt und gesunken. Doch das ändert nichts an der Faszination, die bis heute von dem eleganten Atlantikliner ausgeht.
Zu den Lesern, die sich via Facebook über den „Bremen“-Beitrag äußerten, gehörte auch Ursula Maurer. Ihr Vater habe in einem Orchester an Bord gespielt, teilte sie mit. Und das in englischer Sprache, was der Sache noch einen zusätzlichen Reiz gab. War da womöglich ein Orchestermitglied in Amerika „hängengeblieben“? Aus Kanada kam auf die Nachfrage eine Antwort. Und die enthüllte eine Familientragödie, die nicht untypisch ist für die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Der Musiker war gelernter Schneider
Der musizierende Vater hieß Walter Hugo Bobsin. Eigentlich war er gelernter Schneidermeister, noch 1937 ist er im Bremer Adressbuch mit diesem Beruf angegeben. Bescheidener Wohlstand stellte sich ein und ein bisschen Familienglück. Es schien alles seine Ordnung zu haben im Leben des Walter Bobsin. Ein Sohn kam zur Welt, der Stammhalter. Er erhielt den Namen des Vaters.
Doch dann ein schwerer Schicksalsschlag: Seine erst 26-jährige Frau Ida starb im April 1937 an einer Nierenkrankheit. Nichts war mehr wie vorher. Der Sohn kam in die Obhut seiner Großeltern. Kurz danach hängte Bobsin den Brotberuf des Schneiders an den Nagel und widmete sich seiner Leidenschaft, der Musik. Im Adressbuch von 1938 ist der „Schneider“ als Berufsangabe verschwunden. Der neue Eintrag stellt ihn als „Musiker“ vor.
„Mein Vater konnte alle Blasinstrumente spielen“, berichtet seine Tochter. Auch wenn die Musik nun den Ton angab, fiel für den Lebensunterhalt offenbar genug ab. Es war ja nun auch keine Frau mehr zu versorgen, nur noch Unterhalt für den fünfjährigen Sohn zu zahlen. Vermutlich schon bald nach dem Tod seiner Frau heuerte Bobsin als Mitglied des Bordorchesters auf der „Bremen“ an. Ein Foto aus dem Besitz seiner Tochter zeigt ihn in Kapitänspose hinterm Steuerrad. Auf zwei weiteren Aufnahmen ist Bobsin als Ensemblemitglied zu sehen.
Nicht viel gemeinsame Zeit
Knapp zwei Jahre später eine neue Verbindung: Im März 1939 heiratete Bobsin ein zweites Mal, seine junge Frau war gerade einmal 18 Jahre alt. Als erstes und einziges Kind wurde Ursula noch im gleichen Jahr in Bremen geboren. Die Bobsins wohnten damals an der Husumer Straße in Walle. Doch viel gemeinsame Zeit war der neuen Familie nicht mehr vergönnt.
Leider habe sie ihren Vater nie kennengelernt, schreibt Ursula Maurer. Bei seinem Tod sei sie „sehr klein“ gewesen. Am 9. Juni 1940 ist er in Frankreich gefallen, zwei Wochen vor dem Waffenstillstand. Dass er nicht bei der kämpfenden Truppe war, hat ihm nicht geholfen. „Mein Vater hat in einer Office gearbeitet“, schreibt Ursula Maurer in ihrem sympathischen Sprachmix, „not an der Front.“ Doch das Gebäude habe einen Volltreffer erhalten, ihr Vater sei verschüttet worden.
Es war das Ende eines kurzen Lebens. Walter Bobsin starb mit 30 Jahren, er hinterließ eine junge Frau und ein noch nicht einmal einjähriges Kind. Und dann natürlich noch den damals knapp achtjährigen Sohn aus erster Ehe. „Meine Mutter war mit 19 Jahren Kriegerwitwe“, lautet das nüchterne Resümee seiner Tochter.
Die Kriegerwitwe lebt noch
Nach Kanada kam Ursula Maurer zum ersten Mal als 23-Jährige. 1962 war das, sie besuchte einen Onkel. Aus dessen Freundeskreis stammte ihr späterer Mann, noch in Kanada verlobten sich die beiden. Kurz danach die Auswanderung und die Heirat, zwei Söhne gingen aus der Ehe hervor. 2009 ist ihr Mann gestorben. Noch heute wohnt Ursula Maurer im gemeinsamen Haus in Ayr, einer Ortschaft von 10.000 Einwohnern in der Provinz Ontario im Süden Kanadas.
Derweil lebt in der alten Heimat noch immer ihre Mutter, die Kriegerwitwe. Inzwischen eine hochbetagte Frau von fast 95 Jahren. Doch für sie spielt die Vergangenheit schon längst keine Rolle mehr, sie leidet an Demenz im letzten Stadium.
von Frank Hethey