Herr über den Bunkerbau in Bremen: NS-Senator Hans-Joachim Fischer
Der Tod kam plötzlich an diesem 16. Juni 1944. Auf seinem Weg von Berlin nach Bremen hatte der Zug gerade die Höhe von Hannover erreicht, als Heinrich Böhmcker, Bremens Bürgermeister, tot zusammenbrach. Noch kurz zuvor hatte er, in geselliger Runde sitzend, Wein genossen, als ihn plötzlich sein jähes Ende ereilte.
Damit stand die Hansestadt erneut vor der Frage, wer zukünftig die Geschicke der Stadt bestimmen sollte. Seit Beginn der NS-Herrschaft stand nach Richard Markert, Otto Heider und Heinrich Böhmcker nun schon der vierte Amtswechsel an.
Es stellt sich rückblickend die Frage, wie es unter solchen Bedingungen um die politische Stringenz bestellt war. Die Antwort findet sich u.a. in einem Stamm versierter Juristen und Verwaltungskräfte, die im Hintergrund stehend für Kontinuität sorgten.
Einer von ihnen war Bremens Innensenator, Hans-Joachim Fischer.
Der Allgemeinheit wohl nahezu unbekannt, zählte er zwischen 1939 und 1945 zu den wichtigsten Gestaltern bremischer Politik. Dieser Bedeutung entsprechend hätte er auch die Nachfolge Böhmckers antreten sollen, wäre er nicht zur selben Zeit kommissarisch zum Regierungspräsidenten von Osnabrück ernannt worden.
In Varel das Licht der Welt erblickt
Seine ersten Schritte ins Leben setzte Fischer am 20. Juli 1904 in Varel, damals Teil des Freistaats Oldenburg. Nach dem bestandenen Abitur an der Oberrealschule im Jahre 1923 studierte er in Tübingen und Münster Rechts- und Staatswissenschaften. Rasch kehrte er aber Süddeutschland den Rücken und verlagerte seinen Lebensschwerpunkt nach Schleswig-Holstein, wo er ab 1927 beim Landgericht in Lübeck beschäftigt war und 1931 sein Examen als höherer Gerichts- und Verwaltungsbeamter mit der Qualifikation zum Staatsdienst abgelegt.
Mit dem Examen in der Tasche ließ er sich anschließend als Rechtsanwalt in Varel nieder.
Ging er zunächst noch davon aus, dort sein berufliches Auskommen zu finden, so schwanden diese Hoffnungen, als sich weitere Anwälte dort niedergelassen hatten. Ab März 1934 suchte er daher die Sicherheit einer Beamtenlaufbahn und begann als Regierungsassessor bei der Regierung in Eutin zu arbeiten.
Laut eigener Aussage erfolgte diese Berufung dank der Fürsprache Heinrich Böhmckers, den er zuvor in Eutin im Laufe seiner beruflichen Tätigkeit kennengelernt hatte. Zwischen dem acht Jahre älteren Böhmcker und Fischer hatte sich ein vertrauensvolles Miteinander entwickelt, das durch die gemeinsame politische Überzeugung zusätzlichen Halt fand.
Denn ebenso wie Böhmcker, der 1926 der NSDAP beigetreten war, gehörte auch Fischer bereits seit September 1929 der NS-Bewegung an. Und das wohl auf Zureden Böhmckers, der auch Fischers Karriere in der SA nach Kräften förderte. Als SA-Standarten- und Oberführer kam der Jurist weit voran in der paramilitärischen Organisation. In Böhmcker hatte Fischer einen Mentor, der ihm noch manche Tür öffnen sollte – ein echter Ziehvater.
Riskante Karrieresprünge
Auffällig an Fischers Vita war sein großer Ehrgeiz und die Bereitschaft, die Risiken beruflicher Karrieresprünge nicht zu scheuen. Und so verwundert es auch nicht, dass er, obwohl am 30. Januar 1935 noch zum Regierungsrat auf Lebenszeit ernannt, seine Bindungen zu Eutin löste und am 8. Dezember 1935 das Landratsamt in der westfälischen Provinzialverwaltung übernahm.
Eine weitere berufliche Herausforderung stellte sich ihm, als Böhmcker, der seit 1937 Regierender Bürgermeister von Bremen war, im Frühjahr 1939 bei Fischer anfragte, ob er es sich nicht vorstellen könne, in Bremen das Amt des Senators für Innere Verwaltung zu übernehmen.
Hintergrund waren Überlegungen, Bremens Eigenständigkeit zugunsten des Gaues Weser-Ems bzw. Preußens herabzustufen. Um diese Vorhaben verhindern zu können, war Böhmcker auf die Mitarbeit kompetenter und vor allem zuverlässiger Juristen angewiesen. Fischer schien ihm dafür bestens geeignet.
„Wenn Fischer auf Veranlassung Böhmkers nach Bremen gerufen wurde, so war Voraussetzung, dass es sich um einen Nationalsozialisten handelte, unter gleichzeitiger Voraussetzung, dass er als Verwaltungsfachmann bestens qualifiziert war“, hieß es nach Ende des Krieges in Fischers Entnazifizierungsakte. Und an anderer Stelle äußerte sich Senator Duckwitz über ihn:
„Dr. Fischer besaß eine umfaßende, gründliche Kenntnis des öffentlichen Rechts und er verstand es, sich rasch mit neuen, oft schwierigen Aufgaben vertraut zu machen, neue zeitbedingte Verwaltungen aufzubauen oder bestehende organisatorisch den wechselnden Verhältnissen anzupassen. Er genoss dank seiner Tüchtigkeit, seiner verbindlichen, stets sachlichen und gerechten Art in und außerhalb der Verwaltung weitgehendes Vertrauen.“
Für den Bau neuer Bunker zuständig
Und so wurde er schließlich am 5. April 1939 zum Senator für die Innere Verwaltung der Hansestadt Bremen und Mitglied der Landesregierung ernannt.
Fischers unbestrittene hohe fachliche Kompetenz führte dazu, dass immer mehr Aufgaben von ihm zusätzlich mit übernommen wurden. Ein ganz wesentlicher Bereich war hierbei das Amt des Bausenators, welches er zwischen Januar 1941 und April 1942 kommissarisch bekleidete.
Eine seiner Hauptaufgaben war dabei der Bau neuer Bunkeranlagen, deren Existenz infolge zunehmender Luftangriffe immer wichtiger wurde. In seinem Schlussbericht vom 24. März 1942 berichtet Fischer u. a. davon, dass unter seiner Leitung 281 splittersichere Bunker für 50.000 Personen, 85 betonfertige Bunker sowie 42 im Bau befindliche Bunker errichtet und 48.000 Keller einsturzsicher gemacht worden seien.
„Die Luftangriffe, fast täglich fielen Bomben auf Bremen, trugen dazu bei, den Bunkerbau zu forcieren. Die leitenden Männer, der regierende Bürgermeister Böhmcker und insbesondere der Senator Dr. Fischer und der Kommandant der Schutzpolizei, Oberst Schroers, hatten klar erkannt, welche Bedeutung dem Bunkerbauprogramm in Bremen zukam“, beurteilte Reinhold Thiel in seiner Arbeit Die Luftangriffe auf Bremen 1943-1945 das Wirken Fischers. Dass der Senator für den Arbeitseinsatz auch KZ-Häftlinge anforderte und bedenkenlos opferte, sollte dabei allerdings nicht vergessen werden.
Kurzzeitig bei der Wehrmacht
Im April 1942 kam er kurzzeitig zur Wehrmacht, wurde aus gesundheitlichen Gründen allerdings schon bald wieder freigestellt und gelangte am 18. August 1942 zum neu ernannten Reichsstatthalter in Oldenburg, Paul Wegener, wodurch er im Grunde zu dessen ständigen Vertreter wurde. Ein Jahr später, im Juli 1943, bestellte man ihn dann gleichfalls zu Wegeners Vertreter als Reichsverteidigungskommissar für den Reichsverteidigungsbezirk Weser-Ems.
Zu der bereits bestehenden Ämterfülle kam zwischen dem 1. Juli 1944 und März 1945 noch das Amt des kommissarischen Regierungspräsidenten von Osnabrück hinzu.
In seinem späteren Entnazifizierungsverfahren bemühte sich Fischer, insbesondere seine Zeit als Reichsverteidigungskommissar in der Schlussphase des Krieges hervorzuheben. Gemeinsam mit Gauleiter Wegener habe er dafür gesorgt, dass der sogenannte „Nero-Befehl“ vom 16. März 1945 in seinem verantwortlichen Bereich nicht umgesetzt worden sei. Personen, wie den Direktor des Bremer Gaswerks, Dr. Ing. Friedrich Hopf, habe er augenblicklich des Amtes enthoben, als dieser eigenmächtig den Befehl zur Zerstörung des Gaswerks gab. Weiterhin habe er sich durch Kontaktaufnahme zu verschiedenen Bürgermeistern Nordwestdeutschlands, aber auch zu Hamburgs Gauleiter Kaufmann, für eine kampflose Übergabe an die vorrückenden Alliierten eingesetzt.
Bei der Entnazifizierung als Mitläufer eingestuft
Rückblickend erscheint es immer schwer, aus den Angaben der Entnazifizierungsakte ein wahrheitsgetreues Bild zu erstellen. Allzu oft kam es zu Gefälligkeitsaussagen. Irgendwo fand sich immer ein „Entlastungszeuge“, der bereitwillig zugunsten des Beschuldigten aussagte.
Nach Kriegsende wurde Fischer von der Militärregierung für 28 Monate interniert. Zunächst war er im Lager Westertimke, dann in Fallingbostel und schließlich in Sandbostel, aus dem er im September 1947 entlassen wurde. Im Urteil, das ein Jahr später, im November 1948, vom Entnazifizierungs-Hauptausschuss des Kreises Friesland gesprochen wurde, ordnete man ihn in die Kategorie IV (Mitläufer) ein und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe in Höhe von 500,- DM.
Bereits vor der Urteilsverkündung war er mit seiner Ehefrau, Erika Fischer, nach Oldenburg gezogen, wo er seine alte Tätigkeit als Anwalt wieder aufgenommen hatte. Im hohen Alter von 96 Jahren verstarb er schließlich am 16. September 2000 in Oldenburg.
von Sönke Ehmen