Ein Blick in die Geschichte (108): Leuchtende Farben zeichnen Stadtansicht von 1901 aus

Hellauf begeistert sind zahlreiche Menschen, wenn sie dieses Gemälde sehen: eine Ansicht von Bremen im Jahre 1901 aus der Vogelperspektive. Wobei man die Wendung „hellauf“ ruhig wörtlich nehmen darf. Gerade die strahlenden Farben verfehlen ihre Wirkung nicht, sie lassen das damalige Bremen im wahrsten Sinne des Wortes in einem anderen Licht erscheinen. Wahrlich keine Selbstverständlichkeit, sogar bei kolorierten Stadtansichten ist eine solche farbliche Intensität nur selten anzutreffen.

Für jedermann zu sehen: die Stadtansicht von August Töpfer im Focke-Museum. Foto: Frank Hethey

Für jedermann zu sehen: die Stadtansicht von August Töpfer im Focke-Museum.
Foto: Frank Hethey

Gemalt hat das Bild ein Mann, der sich selbst wohl nicht unbedingt als Künstler verstanden haben dürfte: der damalige Direktor des Bremer Gewerbemuseums, August Töpfer. In irgendeinem Magazin schlummert das Gemälde nicht, vielmehr ist es als Exponat in der Dauerausstellung des Focke-Museums zu sehen. Dass sich das farbenfrohe Werk in der Obhut des Focke-Museums befindet, hat seinen guten Grund: Ist doch das Gewerbemuseum an der Kaiserstraße (heute Bürgermeister-Smidt-Straße) längst Geschichte, es ging mitsamt seinen Beständen 1925 im Focke-Museum auf.

Zur Entstehungsgeschichte liegen dem Focke-Museum keine Angaben vor. Wir wissen nicht, was Töpfer dazu veranlasste, den Pinsel zu schwingen. Als Gewerbezeichner war er aber geradezu prädestiniert dafür. Die detailfreudige, ja schon fast detailversessene Sicht aus der Vogelperspektive war ein Spezialgebiet für Männer seines Fachs. Vogelperspektiven standen damals hoch im Kurs, im Zeitalter der rasanten Industrialisierung waren sie fast so etwas wie das optische Signum einer weit verbreiteten Fortschrittsgläubigkeit. Wer etwas zu zeigen hatte, zeigte es gern aus der Vogelperspektive.

Das galt nicht nur für Stadtansichten, gern ließen auch Fabrikherren ihren Produktionsstandort aus höherer Warte darstellen. Als echter Spezialist konnte sich der Bremer Otto Bollhagen profilieren, seine hochperspektivischen Fabrikansichten waren überregional gefragt. Da wollte der alternde Töpfer vielleicht noch einmal einen Glanzpunkt setzen. Womöglich reizte es ihn auch einfach nur, eine aktuelle Bremen-Ansicht aus der Vogelperspektive zu erstellen, die letzte war immerhin schon fast ein halbes Jahrhundert alt. In einen Ballon musste er sich dafür nicht begeben. Der Blick von oben ließ sich durch komplizierte Berechnungen täuschend echt imaginieren, die Kunst der Vogelperspektive war damals fast so etwas wie eine eigene Wissenschaft.

Der richtige Blickwinkel: die Jute-Spinnerei und Weberei in Walle aus der Vogelperspektive. Bildvorlage: Kulturhaus Walle

Der richtige Blickwinkel: die Jute-Spinnerei und Weberei in Walle aus der Vogelperspektive.
Bildvorlage: Kulturhaus Walle

Das Geheimnis der strahlenden Farben

Freilich erklärt sich damit noch nicht das Geheimnis der strahlenden Farben. Aus halbwegs verlässlicher Quelle verlautet, Töpfer habe das Bild mit Temperafarben angefertigt. Die waren vor allem in der frühen Neuzeit sehr verbreitet, wurden jedoch später durch Ölfarben abgelöst. Anders als Ölfarben ändern Temperafarben beim Trocknen ihr Aussehen, am Ende erscheinen sie weitaus kräftiger als beim Auftragen. Das könnte die ungewöhnliche Strahlkraft des Töpfer-Bildes erklären. Dem widerspricht allerdings die Museumsinformation, wonach es sich um ein Gouache-Bild handelt. Merkwürdig nur, dass Gouache-Farben nachgesagt wird, eher matt zu wirken.

Eher verhalten koloriert: Bremen aus der Vogelperspektive um 1860. Quelle: Hans-Hermann Meyer, Die Bremer Altstadt, Bremen: Edition Temmen 2003

Eher verhalten koloriert: Bremen aus der Vogelperspektive um 1860.
Quelle: Hans-Hermann Meyer, Die Bremer Altstadt, Bremen: Edition Temmen 2003

Wie auch immer es sich damit verhalten mag, der damals schon 68-Jährige hat sich beim Malen mächtig ins Zeug gelegt. Meisterlich beherrschte Töpfer das Spiel mit Licht und Schatten. Effektvoll hebe ein Wolkenschatten die Kirchturm-Silhouette vom hell beleuchteten Häusermeer ab, heißt es im Audioguide des Focke-Museums. Höchst lebendig auch die „dramatischen Qualmwolken“ in Höhe des Hauptbahnhofs. „Sie rühren von den Dampflokomotiven her, aber auch von den beiden Schornsteinen des Gaswerks und des Schlachthofes“, erklärt der Audioguide.

Noch nichts zu sehen ist vom neuen Standort der AG Weser, die traditionell auf der Stephanikirchenweide (heute Überseestadt) beheimatet war. Der Umzug begann damals gerade erst, bis 1905 sollte er sich hinziehen. Im Bau waren der Überseehafen sowie der Holz- und Fabrikenhafen, nur der Freihafen war schon seit 1888 in Betrieb.

Interessant auch der tote Weserarm in der Ferne: eine direkte Folgeerscheinung der 1895 abgeschlossenen Weserkorrektion, ohne die der Bau neuer Häfen völlig sinnlos gewesen wäre. Dazu der Audioguide: „Diese Vertiefung, Begradigung und Verkürzung der Fahrrinne schuf die Voraussetzung dafür, dass große Schiffe wieder die Unterweser hinauffahren und die neuen Häfen, Werften und Fabriken im Westen der Stadt überhaupt erreichen konnten.“

von Frank Hethey

Leuchtende Farben: 1901 malte August Töpfer Bre,en aus der Vogelperspektive. Quelle: Focke-Museum

Leuchtende Farben: 1901 malte August Töpfer Bre,en aus der Vogelperspektive.
Quelle: Focke-Museum

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

„Erst der Hafen, dann ist die Stadt“

Im Magazin „Erst der Hafen, dann ist die Stadt“ über Bremen und seine Häfen gehen wir in vielen historischen Bildern auf Zeitreise durch die maritime Vergangenheit unserer Hansestadt. Wie entwickelten sich die Häfen in Bremen vom Mittelalter bis heute? Wie sah die Arbeit zwischen Ladeluke, Kaje und Schuppen aus? Was hatte es mit den Anbiethallen auf sich? Und wie veränderte die Containerschifffahrt die Häfen? Wir blicken auf die Gründung der Freihäfen um 1900 und den Strukturwandel rund 100 Jahre später. Wir erzählen von Schmugglern und Zöllnern, von Bremens großen Werften sowie Abenteuern, Sex und Alkohol an der Küste – dem Rotlichtviertel am Hafen.

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