11. Januar 1881: Wümmedeich hält nicht stand / Die Ereignisse seit den ersten Alarmmeldungen (Teil 2)

Die schlimmen Befürchtungen haben sich bewahrheitet: Am 29. Dezember 1880 brach der Wümmedeich im Niederblockland. Seither haben die Wassermassen etliche Dörfer des Landgebiets überflutet. Zugleich stieg die Weser unaufhaltsam an: Der Weserbahnhof ist bedroht, in der Martinikirche bedeckt Wasser den Fußboden. Bis zum Kälteeinbruch am 8. Januar 1881 war sogar regelmäßiger Dampfschiffverkehr zwischen Lilienthal und Bremen-Walle möglich.

Von vielen beängstigenden Gerüchten, welche bald hier, bald dort einen Bruch des Wümmedeiches stattfinden ließen, ist leider in der letzten Woche am Mittwoch, dem 29. Dezember 1880, Gewissheit geworden: es ist ein wirklicher Deichbruch erfolgt.

Wir wollen die Ereignisse, von denen wir in unseren täglichen Ausgaben berichtet haben, hiermit der Leserschaft in zusammenfassender Form Revue passieren lassen.

Von den Befürchtungen, von denen wir in unserer Ausgabe vom 28. Dezember 1880 berichteten, war der Wümmedeich in Niederblockland, zwischen den Nummern 14 und 15, nicht mehr zu halten gewesen. Keine Anstrengung wurde gescheut, sogar das Militär marschierte noch mit hundert Soldaten auf, aber jede Hilfe kam zu spät. Auch der mit hinausgeeilte Landherr Senator Albert Gröning musste mit ansehen, wie der Deich allmählich wegsackte, die Wassermassen der Wümme sich Bahn brachen und sich dann mit donnerähnlichem Getöse in das Niederblockland hinein ergossen. Zuerst schätze man die Bruchstelle mit 100 Schritten breit, aber der Wasserfluss riss immer mehr Deich mit. Unser Außenredakteur Johann Georg Walte fertigte an der  Bruchstelle eine Reihe von Zeichnungen an, die er nach Rückkehr flugs in ein Gemälde umgesetzt hat.

Deichbruch in Niederblockland am 29. Dezember 1880:
Ausschnitt und Detail aus der „Karte von dem Gebiete der freien Hansestadt Bremen“ von H. Thaetjenhorst und A. Duntze.

Das Wasser lief bis zum Breitenweg

Die Bruchstelle ist genau in nördlicher Richtung zur Ansgariikirche. Von seinem Turm, der mit 118 Metern der höchste in Bremen ist, konnte man sehen, wie sich die Wasserfläche von der Bruchstelle aus immer vergrößerte. Das Wasser floss nach Oslebshausen, Gröpelingen,Walle, Utbremen,  Borgfeld bis hin nach Lilienthal, Horn, Lehe, Findorff, Vahr, Hastedt, Schwachhausen. Der Bürgerpark stand sogleich tief unter Wasser, das Torfbassin in Findorff trat über’s Ufer. Das Wasser lief bis zum Breitenweg.

Der nächste Tag, also der 30. Dezember, brachte die Erkenntnis: Das Wasser hat sich in alle Richtungen ausgebreitet und alle Senken sind ausgefüllt. Die Eisenbahnunterführungen in Schwachhausen sind vier bis fünf Fuß überschwemmt. Man hoffte, dass die Bahndämme halten. Aber in Walle ist bereits ist ein Stück Damm weggebrochen und der Zugverkehr ist eingestellt. Die Waller Chaussee ist trocken geblieben, da die Durchlässe unter dem Bahndamm in aller Eile zugestopft wurden. Die Fahrten auf der Strecke Bremen, Oberneuland nach Sagehorn mussten eingestellt werden, da zwei Brücken eingestürzt sind. Kanalwasser kann nicht abfließen und drückt in die Souterrains der Häuser.

Land unter in Schwachhausen: Die Wassermassen waren nicht aufzuhalten.

Weserwasser in der Martinikirche

Weiterhin macht der hohe Weserwasserstand große Sorgen. Am Weserbahnhof, hinter dem Stephaniviertel gelegen, wird die Kaimauer unterspült, sodass das Teile des Bauwerks einzustürzen drohten, was auch in den nächsten Tagen geschah. An den anderen Überschwemmungsgebieten hat es zeitweise leicht sinkenden Pegel gegeben. Das Hauptproblem ist aber, dass die Weser durch drückende Winde den hohen Wasserstand hält. Bei Strom ist der Deich gebrochen. In der Martinikirche steht das Weserwasser schon bis auf den Fußboden.

Um die abgeschnittenen Ortsteile, insbesondere das Blockland und Lilienthal zu versorgen, aber auch die Neugierde der Bevölkerung ob der Wassermassen zu befriedigen, haben die Bewohner der Moordistrikte ihre Torfschiffe in die Stadt gebracht und machen damit gute Geschäfte. Weiterhin konnte die Dampfschifffahrt zwischen Bremen und Lilienthal eröffnet werden. Das Schiff „Stern“ bediente die Strecke, leider nur an fünf Tagen, zweimal täglich  hin und zurück, wie nachstehend geschildert.

Schlüpft in die Rolle eines zeitgenössischen Journalisten: Bremen History-Autor Peter Strotmann.

Hinaus aufs Blocklander Meer 

Am 4. Januar hatte der Autor die Gelegenheit eine Reise mitzumachen. Mit der Pferdebahn fuhren wir bis Einstiegsstelle Gasthaus Lürßen an der Waller Chaussee. Kaum waren wir an Bord, ging es auch schon in die Weite des „Blocklander Meeres“ hinaus. Der Steuermann hielt direkt auf die Bruchstelle zu. Wir waren doch erstaunt, welch Loch die Wasser gerissen hatten. Landseitig erzeugten die reißenden Wasser eine Brake, die wohl eine Länge von 300 Metern und eine Tiefe von 9 Metern haben soll, den „Niederblocklander See“. Die Blockländer haben auch Gelegenheit zur Mitfahrt einzusteigen. Sie müssen sich dazu an der Bruchstelle einfinden.

Unterwegs sahen wir die Boote der Torfschiffer, meist unter Segel gehend. Schon bei etwas Wellenschlag tanzten sie wie Nusschalen auf den Wellen. Ein havariertes Schiff musste die Hilfe der „Stern“ annehmen.

Am 8. Januar 1881 kam der Frost hinzu und schon über Nacht war ein großer Teil des Überschwemmungsgebietes mit einer dünnen Eiskruste bedeckt. Die „Stern“ musste ihre Fahrten einstellen. Heute trägt die Eisdecke bereits an einigen Stellen. Leider gibt schon einige Unglücksfälle mit tödlichem Ausgang zu beklagen. Das Wasser, das oft meterhoch in den Souterrains steht, erstarrt in den Häusern zu Eis.

Es mag wohl ein überschwemmtes Gebiet von 30 Quadratkilometern sein. Das Wasser der Wümme tritt ungehindert ins Land hinein. Wie lange werden wir noch der Überschwemmung leben müssen?

In unseren nächsten Ausgaben werden wir voraussichtlich diese Themen den Lesern präsentieren:

  • Lage in den Überschwemmungsgebieten Findorff und Schwachhausen
  • Lage im Überschwemmungsgebiet Lilienthal
  • Was waren die Ursachen? Wie die Deiche wieder instandsetzen? Wie kann man Deichbrüche und Überschwemmungen verhindern?

von Peter Strotmann

Eine doppelte Hochwasser-Katastrophe hielt 1880/81 die Menschen in Bremen in Atem. Nach starken Regenfällen überschwemmte die Wümme am 29. Dezember 1880 weite Teile von Schwachhausen und Findorff. Die Menschen hatten sich von dem Schock kaum erholt, als am 13. März 1881 die Weser über die Ufer trat. Unser Autor Peter Strotmann berichtet in einer neuen Serie als fiktiver Zeitgenosse über den Gang der Ereignisse.

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