Vor 50 Jahren
Sie wollen nicht nur diskutieren, sie wollen auch auf die Straße, Flugblätter verteilen, Unterschriften und Geld sammeln. Die Aktion 218, eine Gruppe von Frauen und Männern aller sozialen Schichten, ist der Auffassung, daß der Entwurf von Justizminister Jahn zur Reform des Paragraphen 218 keine Verbesserung für die Lage der Frauen bringen würde: In Deutschland treiben jedes Jahr eine Million Frauen ab, 250 Frauen sterben jährlich durch den Kurpfuscher, Tausende werden für den Rest ihres Lebens krank oder unfruchtbar. 350 bis 500 Millionen Mark zahlen die Frauen jährlich dem Abtreibungsgewerbe. Angesichts dieser Situation fordert die Aktion das Recht für die Frauen, selbst zu bestimmen, ob, wann und wie viele Kinder sie haben wollen. In einem Aufruf zur Demonstration, die heute um 11 Uhr auf dem Marktplatz stattfindet, weist sie darauf hin, daß nicht die Aktion, sondern der Gesetzgeber feindlich sei. (WESER-KURIER, 20./21. November 1971)
Hintergrund
Auch 50 Jahre nach der Demonstration auf dem Bremer Marktplatz ist der Schwangerschaftsabbruch in Deutschland noch unter Strafe gestellt. „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“, heißt es im Strafgesetzbuch. Dagegen regt sich noch immer Widerstand, und die künftige Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP könnte unter Umständen sogar wirklich etwas an dem Paragrafen 218 ändern. Vor allem die Grünen drängen darauf, den Paragrafen abzuschaffen. Überlegungen dazu gab es schon viele, doch immer wieder stellte sich die Politik quer.
Am 20. November 1971 folgten 500 meist junge Menschen der Aufforderung der Bremer Gruppe „Aktion 218“. Gemeinsam forderten sie die ersatzlose Streichung. Ein erfolgloses Unterfangen, denn der Paragraf existiert mittlerweile seit exakt 150 Jahren. Auch in diesem Jahr kam es deshalb zu Protesten. Über 120 Organisationen unterstützten Mitte Mai die bundesweiten Proteste in vielen Städten für die Abschaffung des Paragrafen 218. Insgesamt wurden dabei 38.000 Unterschriften für eine Petition gesammelt.
Dass eine grundsätzliche Bewegung in der Sache möglich ist, zeigt eine Gesetzesreform des Paragrafen 219a im Jahr 2019. Hatte dieser zuvor Ärztinnen und Ärzten die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verboten, dürfen die Mediziner seit gut zwei Jahren nun immerhin öffentlich machen, dass die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Weitere Informationen, etwa über die Methoden, sind allerdings noch immer nicht erlaubt. Auch deshalb hegen nun vor allem viele jungen Menschen die Hoffnung, dass sich mit der künftigen Regierung etwas in dieser Thematik ändert.