Frühere Zöllner berichten aus ihrem Berufsalltag / Geschichtskontor des Kulturhauses Walle lädt am Sonntag, 24. April, um 15 Uhr in den „Druiden“ ein

Irgendwie machte der Hafenarbeiter einen ungewöhnlich korpulenten Eindruck. Dass es sich dabei nicht um natürliche Körperfülle handelte, stellte sich bei der Kontrolle heraus. Trug der Mann doch unter seiner Jacke vier Bademäntel, die er aus einem Schuppen hatte mitgehen lassen, in dem frisch eingetroffene Ware für Karstadt lagerte. Berichtet wurde diese Episode bei einem Erzählcafé des Geschichtskontors im Kulturhaus Walle vor gut drei Jahren. Ähnliche Anekdoten dürften auch am morgigen Sonntag wieder zu hören sein, wenn frühere Zöllner um 15 Uhr aus dem Nähkästchen plaudern. Los geht es um 15 Uhr in der Kneipe „Druide“ in Walle, Theodorstraße 8.

„Hafenförster“ im Dienst: Ihren Spitznamen erhielten die Zollbeamten wegen ihrer grünen Uniform.
Quelle: Kulturhaus Walle

Mit gestohlenen Waren einträgliche Geschäfte zu machen, war natürlich ein unbedingt strafwürdiges Vergehen. Um den Schmuggel im großen und kleinen Stil zu unterbinden, umschloss seit Eröffnung der stadtbremischen Freihäfen 1888 ein Zollzaun das Hafenareal. Die Barriere in Utbremen und Walle mit ihren Wachhäuschen hat das Bild vom Hafen jahrzehntelang geprägt, in den Erinnerungen von Hafenarbeitern und Zöllnern spielt der Zollzaun eine wichtige Rolle. Erst als die Freihandelszone rechts der Weser aufgehoben wurde, verlor der Zaun ab Januar 2001 seine Funktion. Heute existieren allenfalls noch klägliche Überreste.

Anders in der Erinnerung von Zeitzeugen, Zöllnern wie auch Hafenarbeitern. „Der Freihafen wurde rund um die Uhr begangen, hauptsächlich der Zollzaun“, sagt der langjährige Zöllner Harald Vietz. „Der war ganz wichtig, dass da immer jemand guckte, dass doch nicht jemand was über’n Zaun warf.“ Freilich kam das eher selten vor, musste man doch immer mit Patrouillen rechnen. Laut Vietz wurde der Zollzaun so gut bewacht, dass die Hafenarbeiter zumeist gar nicht erst versuchten, ihn mit Schmuggelware zu überwinden.

Schmuggel von „Fundstücken“ direkt am Mann

Blieb also nur die Möglichkeit, entwendete „Fundstücke“ direkt „am Mann“ nach draußen zu schmuggeln. Deshalb auch die stichprobenartigen, teils recht akribischen Personenkontrollen an den Wachtposten. Das war natürlich ein ständiger Quell für Reibereien und Unmut. Erlaubt war nur, sogenannte Fegsel mit nach Hause zu nehmen: versehentlich verschüttete Ware, meist Getreide oder Kaffee.

Bitte recht freundlich: Zöllner posieren für die Kamera.
Quelle: Kulturhaus Walle

Dabei ging es oft genug nur um die Deckung des Eigenbedarfs. Etwa um Futter für die Hühner im heimischen Garten, früher ein verbreitetes Phänomen. Beim Erzählcafé des Geschichtskontors auf der MS Friedrich im Januar 2013 erinnerte sich ein Zuhörer an einen Mann, der immerzu Getreide für sein Federvieh mitbrachte: „Wenn der nach Hause kam, liefen die Hühner schon hinter ihm her.“

Doch es gab auch Fälle organisierten Schmuggels. Wenn Hafenarbeiter beim groß angelegten Kaffeeschmuggel erwischt wurden, waren mehrwöchige Haft- und Geldstrafen keine Seltenheit. Auch Zigaretten oder Alkoholika im Spind waren nicht gerade geeignet, die Anstellung im Hafen abzusichern. In drastischen Fällen verhängte die Bremer Lagerhausgesellschaft (BLG) als Arbeitgeber der Hafenarbeiter ein Hafenverbot für den ertappten Übeltäter. Daran konnten ganze Existenzen zerbrechen, Familien ihren Lebensunterhalt verlieren.

Als „alte Zöllnersau“ oder „Hafenförster“ beschimpft

Dass sich die Zöllner bei den Hafenarbeitern nicht gerade großer Beliebtheit erfreuten, liegt auf der Hand. Als „alte Zöllnersau“ sei er beschimpft worden, erinnerte sich ein Zuhörer beim Erzählcafé des Geschichtskontors. Durchaus gängig war auch die weniger deftige Bezeichnung der Zollbeamten als „Hafenförster“ – eine spöttische Anspielung auf ihre grüne Dienstuniform.

Alltag am Kontrollposten: Zöllner beim Dienst an einem Kontrollpunkt an den bremischen Freihäfen.
Quelle: Kulturhaus Walle

Bei aller geradezu obligatorischen Abneigung gab es aber doch so etwas wie eine Schicksalsgemeinschaft zwischen Hafenarbeitern und Zöllnern. Vielleicht nicht so verwunderlich, wenn man sich vor Augen hält, dass nicht alle Zöllner von Anfang an eine sichere Beamtenlaufbahn eingeschlagen hatten. So wie Günter Reimann, der viele Jahre lang als Maschinist unterwegs gewesen ist und dann beim Wasserzoll anheuerte. „Ich bin nicht zum Beamten geboren“, sagt er. Und ergänzt in einem Ton, der verrät, dass er damit keinen Lacher provozieren will: „Ich habe vorher mein Leben durch ehrliche Arbeit verdient.“

Vielleicht auch darum ein gewisses Mitgefühl. Bei Bagatellfällen drückten die Zöllner schon mal ein Auge zu. Beim Erzählcafé wusste ein Zuhörer zu berichten, der Zoll habe die Hafenarbeiter gewähren lassen, als zwei mit hochwertigem Rindfleisch beladene englische Schiffen nicht auslaufen konnten, weil daheim gestreikt wurde. Da hätten sich die Hafenarbeiter unbehelligt bedienen können. „Da war der Zoll nicht da.“ Die Quintessenz: „Es gab ja auch gute Zöllner.“

Der zwischenmenschliche Faktor ist auf der Strecke geblieben

Natürlich war früher nicht alles besser. Wer möchte schon tauschen mit den Menschen, die den Bombenhagel über sich ergehen lassen mussten oder in der Notzeit kurz nach dem Krieg jahrelang von der Hand in den Mund lebten? Doch um diese Jahre geht es ja auch gar nicht, wenn Zeitzeugen wie Reimann sich an ihren Berufsalltag erinnern. Sondern um die Folgejahre, als sich Westdeutschland erholt hatte von der Kriegskatastrophe.

Mit Brief und Siegel: Zollüberwachung im Devisenverkehr.
Quelle: Kulturhaus Walle

Da gab es zwar naturgemäß immer wieder Konfliktsituationen, aber auch den täglichen Kontakt mit Hafenarbeitern und Seeleuten als potenziellen Schmugglern. Dieser zwischenmenschliche Faktor ist so ziemlich auf der Strecke geblieben. „Die ganzen Container werden jetzt nur noch elektronisch abgefertigt und zum Teil auch noch überprüft mit diesem Röntgenapparat,“ sagt Reimann mit einem Anflug von Wehmut. Für seinen Berufsstand sei das fatal, man brauche den klassischen Zöllner eigentlich gar nicht mehr.

Ihre Aufgabe wird inzwischen durch mobile Kontrolltrupps erledigt. Im Land Bremen gibt es heute nur noch in Bremerhaven einen 4.000.000 Quadratmeter großen Freihafen. Und der hat auch noch einen anständigen Zollzaun, der laut offizieller Verlautbarung auf eine Länge von rund zehn Kilometern kommt.

von Frank Hethey

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: Personenkontrolle an einem Wachtposten am Bremer Freihafen. Das Foto ist vermutlich in den frühen 1950er Jahren entstanden, darauf weist das bis 1956 ausgegebene amerikanische Kennzeichen mit dem Kürzel AE für Amerikanische Enklave hin. Quelle: Kulturhaus Walle

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: Personenkontrolle an einem Wachtposten am Bremer Freihafen. Das Foto ist vermutlich in den frühen 1950er Jahren entstanden, darauf weist das bis 1956 ausgegebene amerikanische Kennzeichen mit dem Kürzel AE für Amerikanische Enklave hin.
Quelle: Kulturhaus Walle

Jung, aber mit viel Geschichte

50 Jahre
Universität Bremen

50 Jahre sind seit der Gründung der Universität Bremen vergangen. Auf dem Weg von der vermeintlichen roten Kaderschmiede zur Exzellenzuniversität ist viel passiert: Wir haben den ersten sowie den aktuellen Rektor interviewt und mit Absolventen gesprochen – zu denen auch Bürgermeister Andreas Bovenschulte gehört. Zudem hat uns ein Architekt über den Campus begleitet. Das Magazin der Reihe WK | Geschichte gibt es ab 18. September in den ­Kundenzentren des WESER-­KURIER, im Buch- und Zeitschriftenhandel, online unter www.weser-kurier.de/shop und unter 0421 / 36 71 66 16.

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