1891 regte Ludwig Franzius den Bau umfangreicher Kanal- und Hafenanlagen auf der Neustadtseite an / 1911 wurde das Projekt zu den Akten gelegt.   

Wäre es nach Oberbaudirektor Ludwig Franzius gegangen, würde heute ein Netz von Hafen- und Kanalanlagen die Neustadt durchziehen. Die Friedrich-Ebert-Straße wäre eine Wasserstraße, in Höhe von Neuenlander Straße und B 75 würde sich ein mächtiges Hafenbecken befinden. Anfangs zeigte sich der Senat durchaus interessiert. Um Bodenspekulationen einen Riegel vorzuschieben, behandelte man das Projekt streng vertraulich. Doch aus den schönen Plänen wurde nichts, bereits 1905 musste das Vorhaben einen erheblichen Rückschlag hinnehmen.

Was wäre wenn? Ja, wenn die 1891 vom Bremer Oberbaudirektor Ludwig Franzius (1832 bis 1903) geplanten  Kanal- und Hafenanlagen auf dem linken Weserufer Wirklichkeit geworden wären? Ja, dann hätten wir vielleicht heute immer noch Kanäle und Binnenwasserhäfen auf der Neustadtseite. Dann könnten Binnenschiffe von der Weser durch den Stadtwerder, die kleine Weser und die Piepe durchquerend zur Schleuse am Buntentorsteinweg schippern.

Detailplanung von Hafenbecken und Wendeplatz sowie der beidseitigen dreischiffigen Kanalstrecke. Dabei stellte sich heraus, dass am Ende der Oder – und Elbstraße bereits Bauten genehmigt und gebaut worden waren. Bei einer Realisierung der Franzius-Planungen hätten die Eigentümer zwangsenteignet und entschädigt werden müssen.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Nach einer Schleusung ginge es durch den dann nicht vorhandenen Neustadtspark mit dem Centaurenbrunnen hinein in die Friedrich-Ebert-Straße. Die gäbe es ab da auch nicht, denn sie wäre ein Kanal. Wir könnten die Rückseiten der Häuser an der Kantstraße und der Bachstraße sehen. Am Kanal selbst wären Lagerhäuser, Kräne und Industrieanlagen. So ginge es bis zur Neuenlander Straße weiter.

Geradeaus folgte ein Hafengebiet mit mehreren Stichkanälen. Aber der Hauptkanal schwenkte nach rechts, erweiterte sich zu einem Hafenbecken. Und zwar dort, wo heute in etwa die Hochstraße der B 75 verläuft. Aber auch noch Woltmershausen und Rablinghausen würden durchquert werden. Dort hätten wir ebenfalls Hafen- und Industrieanlagen gehabt. Über eine Schleuse hätten wir den Kanal in Richtung Weser wieder verlassen.

Mit dem Motorboot zum Flughafen

Wenn es so gekommen wäre und der Flughafen auch dort gebaut worden wäre, wo er jetzt ist,  dann wäre es sicher möglich gewesen, mit dem Motorboot zum Flughafen zu gelangen. Dann hätten wir ein Klein-Venedig  auf der Neustadtseite gehabt.

Aber es ist anders gekommen. Und so wurde das ganze Projekt 1911 still und heimlich zu den Akten gelegt. Uns ist damit ein Wasserparadies in der Bremer Neustadt erspart geblieben.

Wasserstraße statt Kraftfahrzeugstraße: Die Kanaltrasse wäre breiter gewesen als die heutige Friedrich-Ebert-Straße.
Foto: Peter Strotmann

Als Ludwig Franzius 1891 seinen Plan vorstellte, galt das Binnenschiff als wichtigstes Transportmittel über lange Strecken. Da viele Flussläufe für einen kontinuierlichen Betrieb nicht ausreichten, wurden insbesondere in Norddeutschland bereits im 18. Jahrhundert Kanäle angelegt. Der große Boom an Planungen und Bau kam jedoch erst Ende des 19. Jahrhunderts. So wurde für die Versorgung des Ruhrgebietes der Dortmund-Ems-Kanal angelegt und 1899 eröffnet.

Der geplante Mittellandkanal, ein Abzweig des Dortmund-Ems-Kanals, sollte den Rhein mit der Elbe verbinden. Weiterhin war angedacht, die Weser von Minden nach Bremen als Kanal auszubauen. Damit wäre Bremen mit dem Rhein und Elbe verbunden gewesen.

Ein weiteres Argument von Franzius war, dass am Rhein bedeutende Binnenschifffahrtsanlagen entstanden seien, wie z. B. in Duisburg, Ruhrort, Mannheim, aber auch in Hamburg. In Hamburg insbesondere deshalb, weil sich dort Seeverkehr und Binnenverkehr treffen. Hiermit hatte sich vielfältiges Gewerbe und Industrie angesiedelt. Das sollte auch in Bremen so sein.

Vorgesehenes Gelände war fast unbebaut und somit verfügbar 

Geplante Kanalführung in der Neustadt: von der kleinen Weser, zwischen Kantstraße und Bachstraße (heute Friedrich-Ebert-Straße und Hegelstraße), bis zur Neuenlander Straße.
Quelle: Peter Strotmann

In Bremen gab es keine vergleichbaren Anlagen. Die Schlachte als Hafen war aufgegeben. Der Freihafen I (Europahafen) war erst geplant, aber noch nicht gebaut. Die Weserkorrektion noch in vollem Gange.

Das Gelände für die geplanten Kanal- und Hafenanlagen auf dem linken Weserufer war fast unbebaut und stand somit zur Verfügung. Es lag auf der Hand, dass eine derartige Anlage nur vom Staat gebaut werden könne, da die Privatwirtschaft keine Enteignungen vornehmen dürfe.

Insofern war die Planung einer derartigen Binnenschifffahrtsanlage zum damaligen Zeitpunkt (1891) sehr sinnvoll. Die Senatscommission für Häfen und Eisenbahnen behandelte die Planung als „vertraulich“, um Spekulationen an Grund und Boden vorzubeugen.

Doch warum wurden die Kanal- und Hafenanlagen auf dem linken Weserufer nicht gebaut? Der Mittellandkanal, ein Abzweig des Dortmund-Ems-Kanals, sollte den Rhein mit der Elbe verbinden. 1905 wurde beschlossen, den Mittellandkanal nur bis Hannover zu führen. Dieser Abschnitt wurde erst 1915 fertiggestellt; die Elbe erst 1938 erreicht.

Auf der Strecke von Minden nach Bremen wurde die Weser nicht als Kanal ausgebaut. Dadurch war kein leistungsfähiger Binnenschiffsverkehr möglich.

Bereits 1905 waren die Planungen zu großen Teilen hinfällig

Man errichtete das Weserwehr und die Schleusen an einem Standort weiter flussaufwärts in Höhe der Malerstraße anstatt in Höhe der Lüneburger Straße. Deshalb war schon 1905 bei einer vertraulichen Sitzung beschlossen worden, die weitere Planung des Kanals vom Weserwehr bis zum Hafen (verlängerte Meterstraße: heute Langemarckstraße) einzustellen.

Dumm gelaufen: Bei der Detailplanung im Jahre 1901 stellte sich heraus, dass die Kanaltrasse mitten durch das Verwaltungsgebäude einer Ziegelei Am Seefelde führen würde. Weitaus schwerwiegender, dass auch eine Ecke vom Brennofen betroffen gewesen wäre.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Auf den nicht mehr benötigten Flächen sollte die Brückenstraße (heute Friedrich-Ebert-Straße) bis zur Neuenlander Straße verlängert und bebaut werden. Die Planung für Woltmershausen und Rablinghausen blieb weiter bestehen.

Zwischenzeitlich wurden die Industrie- und Handelshäfen in Oslebshausen fertiggestellt. Mit einer Schleuse waren sie unabhängig von den Gezeiten.

Für die am geplanten Kanal  ansässigen Firmen und zukünftig noch anzusiedelnen Firmen stand der Nutzen bei geschätzten Kosten von 16 Millionen Mark in keinem Verhältnis zum Aufwand. „So schön auch ein solcher Kanal wäre…“, bemerkt Baurat Sinzig 1910 in seinem Bericht.

Auf Grundlage des Berichtes von Baurat Sinzig beschließt die Bremer Bürgerschaft 1911, das Projekt Kanal- und   Hafenanlagen auf dem linken Weserufer einzustellen. Die vom Staat bereits aufgekauften oder enteigneten Grundstücke wurden weiter verwertet.

Fazit: Die Entwicklung der Jahre von 1891 bis 1911 hat gezeigt, dass eine Kanal- und Hafenanlage auf der linken Weserseite nicht mehr nötig war. Somit war es sicher eine weise Entscheidung, das Projekt einzustellen.

von Peter Strotmann

Große Pläne: Was Oberbaudirektor Ludwig Franzius vorschwebte, ist diesem Übersichtsplan von 1902 zu entnehmen. Hellblau eingezeichnet sind die Weser sowie die Hafenanlagen am rechten Weserufer. Dunkelblau markiert: die geplanten Kanal- und Hafenanlagen am linken Weserufer und rot hervorgehoben der Verlauf der Hafenbahn. In der Mitte unten ist die Hafenerweiterung mit drei Stich-Kanälen eingetragen.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

 

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