Der Glaskünstler Georg K. Rohde zeigt rauchende Herren unterschiedlichen Alters – ein Ritual? 

von Peter Strotmann

In dieser Szenerie sind drei Herren unterschiedlichen Alters zu sehen, die sich um einen Tisch versammelt haben. Die hier ebenfalls zentral angeordnete Palme mit goldenen Blättern und ballonartigen Früchten deutet auf  tropische Gefilde hin. Die Darstellung der drei Männer, die in einem Kontor zusammensitzen, betont die unterschiedlichen Hierarchieebenen.

Heute eher unüblich: Gamaschen an den Füßen. Foto: Peter Strotmann

Heute eher unüblich: Gamaschen an den Füßen.
Foto: Peter Strotmann

Vermutlich wird der junge Mann, links sitzend, in die Geschäftswelt eingeführt. Er könnte nach  seinen Lehrjahren in Bremen und durch einen anschließenden Auslandsaufenthalt sein kaufmännisches Wissen vervollkommnet haben.*  Nun muss er zeigen, dass er auch im Geschäftsleben mithalten kann. Dazu gehört auch Rauchen und Trinken. Sein Chef, rechts sitzend, will sehen, wie der Jüngling das durchhält.

Als Gamasche (Kamaschen, Beinling, Stulpe) wird ein Kleidungsstück bezeichnet, das an das Schuhwerk anschließt und Teile des Fußes bedeckt. Auf diesem Glasbild soll es auf einen pedantischen, auf das Kleinliche bedachten Menschen hinweisen.

Grimmiger Gesichtsausdruck: Was hat der stoppelhaarige Chef nur im Sinn? Foto: Peter Strotmann

Grimmiger Gesichtsausdruck: Was hat der stoppelhaarige Chef nur im Sinn?
Foto: Peter Strotmann

Der Chef als vierschrötiger Typ dargestellt, nach außen ein heiterer Typ mit Stoppelhaaren, ist in Wahrheit mit allen Wassern gewaschen. Er macht es sich auf einem „Chefsessel“ bequem und verwaltet die vor ihm stehenden Tabakwaren und Alkoholika.

Offensichtlich genießt er den zunehmenden Verfall des jungen Mannes. Er feuert den armen Menschen immer  weiter an: „ Jetzt rauchen wir noch eine echte Havanna“. Der Prokurist – in der Mitte plaziert – wird ihn eher bremsen, denn er bangt um die Gesundheit seines Schützlings, den er einige Jahre ausgebildet hat.

Man wartet darauf, dass der junge Mann grün und gelb anläuft

Insgeheim wartet der Betrachter darauf, dass der junge Mann nach der ersten Zigarre seines Lebens, die er in Gegenwart seines Chefs rauchen darf,  grün und gelb anläuft, sich erbrechen muss. Zwischendurch wird ihm immer wieder angeboten, er möge auch noch ein Schlückchen Portwein zu sich zu nehmen: „Wir trinken auf die Ausbildungszeit.“ Erst wenn er auch durch diese Hölle gegangen ist, wird er als vollwertiger Kaufmann anerkannt. Irgendwann wird er als gestandener Kaufmann auch auf der anderen Seite sitzen und einem Ausgelernten den letzten Schliff geben.

Warum das Ganze? Weil Männer, früher vielleicht mehr als heute, auf diese Weise versuchten, ihre Kräfte zu messen. Und man sehen möchte, wer bei einem solchen Ritual durchhält und wer aufgibt. Hinterher wird es meist so bewertet: „Der kann was ab.“ Oder: „Der war schon nach drei Bier hin.“

Auf dem Prüfstand: Der Lehrling muss sich in der Welt der Männer erklären. Foto: Peter Strotmann

Auf dem Prüfstand: Der Lehrling muss sich in der Welt der Männer erklären.
Foto: Peter Strotmann

Mitte der 1960er, am Ende meiner Lehrzeit, musste  ich auch diese Mühle. Während der Lehre waren Alkohol und Zigaretten für uns Lehrlinge im Betrieb tabu. Auf der Abschlussfeier forderte mich mein Lehrmeister ultimativ auf „Peter, jetzt musst Du auch eine rauchen!“ und hielt mir eine Packung Zigaretten und Feuer unter die Nase. Dann wurden wir bis Oberkante Unterlippe abgefüllt. Als ich nach Hause zurückgekehrt war, sah mich meine jüngere Schwester leiden und berichtete es kurz und knapp meiner Mutter: „ Peter hängt über’n Klo.“

Das Glasbild Männeridylle zeigt eine ähnliche Situation um das Jahr 1900 auf. Die zu der Zeit übliche Ausbildung zum Kaufmann mag sich von der im 16./17 Jahrhundert unterschieden haben, beispielsweise durch die längere Schulzeit. Liest man die Lebensläufe vieler hanseatischer Kaufleute, so lässt sich feststellen, dass diese Art der Ausbildung noch mindestens bis etwa 1914 Bestand hatte.

* Im 16./17 Jahrhundert bestand die Ausbildung aus einer fünfjährigen Schulausbildung, an der sich eine siebenjährige Lehrzeit – ab dem zwölften Lebensjahr –  anknüpfte. Und zwar nicht selten bei verwandten oder befreundeten Familie im Ausland. Danach folgte – bei wohlhabenden Kaufleuten – eine zwei bis vier Jahre dauernde sogenannte Belehrungsreise nach Amsterdam, London, Paris, Danzig etc. Dort, wo der künftige Kaufmann Handelsbeziehungen unterhalten würde, sollte er die Handelsvorschriften kennen – und die jeweilige Landessprache beherrschen lernen. Mit circa 25 Jahren hatte er seine Ausbildung abgeschlossen.

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